Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
geargwöhnt, dass strenge Disziplin und drakonische Strafen sie dazu trieben. Aber da war mehr … Ohne zu zögern, hatten die drei Männer ihr Leben riskiert, um Lilianne zu retten, obwohl die Komturin an diesem Tag hunderte ihrer Kameraden in den Tod geschickt hatte. Sie hatten sich ihr verbunden
gefühlt … Als sei diese machtbewusste Kriegerin eine der ihren. Die Matrosen gehörten ebenso wenig zum Orden wie die Seesoldaten an Bord der Sankt Raffael. Woher kam ihre selbstzerstörerische Ergebenheit?
Charles sah interessiert zu, wie der kräftigste der drei Matrosen Lilianne seine großen Hände auf den Brustkorb legte und drückte. Jedes Mal, wenn er presste, quoll Wasser über ihre dunklen Lippen. Die Ordensritterin sah zum Erbarmen aus. Das Gesicht von goldenen Haarsträhnen verklebt, lag sie mit todesstarren Augen auf dem Deck.
Der Seemann murmelte ein Stoßgebet und presste erneut.
Ein Ruck lief durch die Galeere. Liliannes Kopf rollte ein wenig zur Seite. Eigentlich hatte Charles vorgehabt, einen langen Bericht über ihr Verhalten nach Aniscans zu schicken. Aber es ziemte sich nicht, Beschwerde über eine Tote zu führen.
Plötzlich verkrampfte sich der Leib der Ritterin. Die Pupillen ihrer Augen rollten nach oben. Ein erbärmliches Röcheln entrang sich ihrer Brust.
Der Matrose setzte sie auf und schlug ihr auf den Rücken. Hustend und keuchend erbrach sie Seewasser. Die Männer mussten sie stützen, damit sie nicht zur Seite wegsackte. Ein Arkebusier kam herbeigelaufen und reichte seinen Umhang zum Vorderkastell hoch.
»Sie lebt!«, rief der riesige Matrose, der das Leben in den Leib der Komturin zurückgeholt hatte.
»Sie lebt«, wanderte ein Wispern durch die Reihen der Ruderer.
»Bleibt im Takt, Männer«, hallte der Bass des Kapitäns vom Heck. »Gleich haben wir es geschafft.«
Zweifelnd blickte Charles über den gefrorenen See zum Ufer. Dieses Gefecht war eine Lektion in Demut gewesen. Er
mochte noch nicht glauben, dass sie entkommen würden. Ein Schiff hatten sie durch Feuer verloren, ein zweites durch das Eis. Welchen widernatürlichen Schrecken würden die Anderen als Nächstes heraufbeschwören?
Wieder brach die Sankt Raffael in das Eis. Doch diesmal folgte kein Knirschen. Sie gewannen an Fahrt. Das Schiff war frei.
»Löscht alle Lichter!«, befahl Kapitän Alvarez. »Auch die Lunten der Arkebusen.«
Die Schützen auf den Galerien spuckten auf die Zündschnüre ihrer Waffen. Die großen Hecklaternen der Galeere verloschen. Die Ruder schnitten einen weißen Gischtbogen in das dunkle Wasser. Dann vertraute sich die Sankt Raffael der Finsternis an.
Lilianne erholte sich erstaunlich schnell. Die Männer brachten ihr Schnaps. Sie schien jeden von ihnen mit Namen zu kennen und scheute sich nicht, aus ihren angeschlagenen Bechern und alten Feldflaschen zu trinken.
Etwas pikiert beobachtete Charles, wie sich die Ritterin völlig entkleidete. Gut, jetzt, da die Lichter gelöscht waren und der Mond erneut hinter Wolken stand, konnte man nicht viel sehen. Aber was sie da tat, geziemte sich nicht für eine hohe Würdenträgerin der Kirche. Er hatte schon mehrfach beobachtet, dass die Brüder und Schwestern der Neuen Ritterschaft sehr freizügig waren.
Lilianne hatte einen schlanken, gut durchtrainierten Körper. Ihre Brüste waren klein. Eigentlich mochte Charles knabenhafte Frauen. Aber sie hatte etwas Verstörendes an sich. Sie war zu selbstbewusst!
Lilianne benutzte den geflickten Soldatenumhang wie ein Handtuch. Ausgiebig trocknete sie ihren Leib. Die derben Scherze der Seeleute konterte sie mit nicht weniger derben
Antworten. Dann gab sie dem Arkebusier den Umhang zurück. Unvermittelt trat sie an die Treppe, die hinab auf den Laufsteg führte. Sie stand jetzt unmittelbar vor Charles. Zwei breite Narben auf ihrem Oberschenkel zeichneten sich hell im Mondlicht ab.
Seit sie das Eis hinter sich gelassen hatten, kehrte die spätsommerliche Schwüle zurück. Am Übergang zwischen dem Eis und dem wärmeren Wasser des Sees stieg dichter Nebel auf. Das Schiff steuerte in die Nebelwand, und binnen Augenblicken war das Ufer außer Sicht. Charles spürte, wie sich Schweiß unter seinen Achseln sammelte.
»Ein beeindruckendes Schauspiel, wie du dich von den Toten erhoben hast, Schwester«, sagte der Erzverweser distanziert. » Allerdings frage ich mich, ob sich die Waffenknechte und Schiffer eher an dieses Wunder erinnern werden, wenn sie von diesem Tag erzählen, oder an deine Nacktheit, die du
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