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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Kopfsteinpflaster. Renaissance und Pestilenzgeruch in den dunklen Portalen der Palazzi. Holler meinte die jahrhundertealten Echos lateinischer Bußgesänge zu hören in Gassen voll Fischgeruch, Tanggeruch. Orgeldonner aus Kirchen, Kirchen, inflationär, und wieder Kirchen, deren Kuppeln im letzten Glühen des Himmels erröteten wie die Gesichter verliebter Mädchen, dachte er, bevor sie bleich und steinern wurden und in der Dunkelheit verloschen. Und plötzlich standen Nachtlichter im schwarzen Himmel: Campari, Banco di Roma, grünes Blinken, rotes Blinken, und Verkehr toste auf entfernten Hauptstraßen, und nahes helles Kreischen der Vespas, fliegende Lichter über dem Kopfsteinpflaster.
    Didi ging zielstrebig, hatte den Kopf tief in einen Stadtplan gebeugt, schien genau zu wissen, wohin, während er selbst sofort untergegangen wäre in den Winkeln und Gässchen dieser düsteren Stadt, was ihm verlockend erschien, nichts zu kennen, nichts zu wissen, kein Ziel, keinen Anhaltspunkt zu haben.
    Sie aßen in einer Pizzeria zu Abend (»Pizza Vierjahreszeiten«, bei deren Bestellung sich Diedrich seinen uralten Deutschenwitz »Vier Bahnhöfe / Quattro Stazioni« statt »Quattro Stagioni« zwinkernd zu sagen, nicht verkneifen konnte, was der Kellner erst nach wiederholter Erklärung verstand und offenbar nicht besonders komisch fand) und liefen danach, auf der Suchenach einer Kneipe, durch die dunkle, hohe, kaum beleuchtete Altstadt. Didi hatte sich wieder tief in den Stadtplan gebeugt (er war schwach fehlsichtig, hätte aus ästhetischen Gründen aber niemals eine Brille aufgesetzt, weswegen ihm Tom ab und zu einen Straßennamen vorlesen musste), obwohl sie, wie er dachte, doch gar kein definiertes Ziel hatten, und er wunderte sich über die Menschen, die bei jedem Schritt, den sie machten, wissen wollten, wohin sie gingen.
    Endlich saß man in einer Kneipe. Diese war einem irischen Pub nachempfunden. Tom hatte das Gefühl, viel Bier trinken zu müssen. Didi führte ein Gespräch. Ob J. C. H. (er sprach es englisch) ihn inzwischen erreicht habe, wollte er wissen, und der werde sich schon wieder beruhigen, habe sich bisher immer wieder beruhigt. Auf der Tanzfläche hopste ein jugendliches Publikum zu dröhnenden Bässen herum. Eine Unterhaltung wurde zunehmend erschwert, so dass Tom nur einen Teil hörte von dem, was sein Kollege redete. So eine »Kreativpause«, hörte er, drei Monate, tue richtig gut, um auf andere Gedanken zu kommen. Andere Gedanken, ja , dachte Tom, aber: was für welche. Und was er überhaupt die ganze Zeit gemacht habe.
    »Nichts«, sagte Tom zu Diedrich, nachdem er ihn lange, scheinbar nachdenklich, angesehen hatte.
    »Nichts?« Diedrich lachte, er glaubte ihm nicht. »Irgendwas musst du doch gemacht haben?!«
    Tom zuckte mit den Schultern, »Nichts«, sagte er, »das heißt, gelebt halt, geatmet, gegessen, geschissen und so weiter.« Und sein Kollege lachte wieder, schüttelte wiederholt den Kopf, und die Locken sprangen um sein Gesicht, während er lachend in das vor ihm stehende Bierglas hineinschaute und tat, als wäre Tom ein Komiker.
    Der hingegen, weit davon entfernt, komisch zu sein, brauchte ein Telefon. Auf dem Zimmertelefon im Hotel nämlich konnte man nur angerufen werden, worauf er gut und gerne hätte verzichten können, sein Handyakku war seit Wochen leer, und er hatte sein Aufladegerät vergessen. Diedrich würde er nicht fragen. Diedrichs Scheinwerferaugen sondierten inzwischen hell und genau den näheren Umkreis, tasteten alles Weibliche ab.
    Er müsse mal raus, sagte Holler.
    Didi fältelte die Stirn, aber Holler war schon aufgestanden. Nacht umschloss ihn mit einer transparenten Schicht, die dichter und dunkler wurde, sobald er sich vom Pub entfernte und in ein schmaleres Seitensträßchen tauchte. Die Glut seiner Zigarette wies ihm den Weg. An einer Häuserecke wartete ein Grüppchen Jugendlicher mit Vespas auf die Zukunft. Holler lief und lief, ohne jemals an einer Telefonzelle vorbeizukommen. Er überquerte steinerne Plätze mit tosenden Brunnen unter den Leuchtreklamen, fädelte sich wieder in die Schwärze enger Gässchen, ging hallenden Schrittes unter Arkadengängen, wo Wolken von Stimmengewirr und Kaffeegeruch aus kleinen Bars trieben. Er genoss das Gefühl, fremd zu sein in dieser Stadt. Gab sich der Illusion hin, ganz neu anfangen zu können, und doch hatte er das Gefühl, mit jedem Schritt, den er in die Tiefen dieser dunklen Stadt setzte, weiter in die verschachtelten

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