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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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zwischen Lieferwagen und Containern, und den Mond betrachteten, derwie ein halber Perlmuttknopf im Himmel steckte und ein stilles Licht verströmte.
    »Entschuldige wegen des Kaffees«, sagte Tom.
    »Macht nichts, sieht viel besser aus so.« Marc deutete auf sein Hemd, kniff die Augen zusammen, und während er den Rauch in einer dünnen Linie in die Nacht blies, lächelte er.
    »Volare« und »Azzurro« spielten sie jeweils sechs Mal an diesem Abend, denn diese beiden Titel waren die einzigen, die dem Publikum wahrnehmbare Reaktionen entlockten. Mit steigendem Alkoholkonsum wurde auch vereinzelt in die Hände geklatscht. Ob man »Volare« und »Azzurro« tatsächlich gut fand, war schwer zu sagen, wahrscheinlicher war, dass man das Bekannte hochschätzte, weil dieses ein Heimatgefühl herstellte, ein frohes Wiedererkennen, wie die McDonald’s-Filiale mitten im Dschungel.
    Höchste Priorität aber besaß an diesem italienischen Abend das Buffet, weil es im Eintrittspreis inbegriffen war und man es im Bauch nach Hause tragen konnte, während die Musik noch im Klingen verklingt und vergeht.
    Für die Musiker allerdings war kein Catering vorgesehen, da dies zu verlangen Richie Miller, der Bandleader, bei den Vertragsverhandlungen versäumt hatte. Tom und Marc zogen sich deshalb in den Setpausen zwischen die Regalwände zurück, um sich vom Süßigkeiten-, Chips- und Alkoholsortiment zu nähren, was natürlich strengstens verboten war. Sie fühlten sich sehr subversiv.
    »Warum machen wir das hier eigentlich?«, sagte unvermittelt und kaum verständlich Tom, der sich kurz vorher eine Handvoll Erdnussflips in den Mund gedrückt hatte.
    »Was meinst du?«, fragte Marc. »Essen?« Er hielt eine leere Chipstüte über seinen Kopf und fing die letzten Krümel mit dem Mund auf. »Um uns zu erhalten, um nicht zu sterben, nehme ich an.«
    »Musik!«, sagte Tom kauend.
    »Ach so, Musik«, sagte Marc und hob eine Augenbraue. Er zerknüllte die Chipstüte, betrachtete sie noch immer mit erhobener Braue, zuckte die Schultern, als hätte er sich diese Frage noch nie gestellt. »Um Frauen kennenzulernen, schätz’ ich«, sagte er und nahm einen Schluck Champagner.
    »Hast du denn heute irgendwelche kennengelernt?«, fragte Tom.
    »Bis jetzt nicht.« Marc lächelte.
    »Also dann? Warum? Um unsere Eltern zu ärgern? Um uns selber zu ärgern? Um unser Leben lang kostenlos Chips fressen zu können?«
    Marc lachte. »Ich weiß es nicht«, sagte er, strich sich das Haar aus der Stirn, und dann änderte sich auf seinem Gesicht die Lichtstimmung, es verdunkelte sich, und hinter seinen Pupillen zogen wechselnde Gedanken wie Wolken schnell dahin, bevor er sagte: »Doch, natürlich weiß ich es: Um mit dem Ganzen hier«, er machte eine kleine Geste mit der Hand, indem er sie einmal umdrehte, so dass die Handinnenfläche nach oben wies, als wollte er prüfen, ob es regnete, »um mit allem hier, mit dem Ganzen hier, möglichst wenig zu tun zu haben.« Er hob die Schultern. »Um zwischen den Regalen sitzen zu können, um übersehen zu werden, weil Musiker«, so Marc, jetzt wieder lächelnd, mit wolkenlosen Augen, »machen nirgends mit, sie spielen auf Hochzeiten, aber sie heiraten nicht, sie spielen in Einkaufscentern, aber sie kaufen nicht.«
    »Aha«, sagte Tom und lachte. »Sie spielen auf Beerdigungen und sterben nicht, oder was?«
    »Ja«, sagte Marc. Er sah ihn an, als würde er ihn plötzlich wiedererkennen.
    An diesem Abend tranken sie auf die Unsterblichkeit mit einem 1987er Moët & Chandon.
    »Es gibt übrigens noch einen anderen Grund«, sagte Marc, als sie an der Grenze zwischen Nacht und Tag in seiner Weddinger Einzimmerwohnung saßen, durch deren niedrige Fenster schon der graue Morgenhimmel hereinfiel. Das elektrische Deckenlicht war unnötig geworden, brannte aber noch.
    »Die Zeit ist weg für einen Moment«, sagte er. »Nicht so sehr beim Musikmachen, aber beim Musik denken «, fuhr er fort. Habe man eine Musik ganz im Kopf, eine Sinfonie oder Sonate, ein Lied, sagte er, wenn alle Takte gleichzeitig, sozusagen räumlich vor einem stünden, einer neben dem andern, dann existiere für diesen Moment keine Zeit. »Man überlistet die Zeit, indem man sie sich auf einmal vergegenwärtigt.«
    »Also brauchst du den hier gar nicht?«, sagte Tom, der an Marcs Flügel saß und mit andächtig geschlossenen Augen einen Dominantseptakkord, den Tristanakkord, in verschiedenen Lagen erklingen ließ. Sie hatten die große Plattensammlung des

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