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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Gastgebers durchsucht, waren nach Johnny Cash bei Wagner hängen geblieben, obwohl Marc Wagner hasste, wie er sagte, ihn heute so sehr hasste, wie er ihn früher einmal geliebt hatte, als Kind, als er sich am Bayreuther Festspielhaus, in dessen Nachbarschaft er aufgewachsen war, tagelang, wochenlang, die Beine in den Bauch gestanden hatte, wie er sagte, nur um einen einzigen Ton aufzufangen, indes die glatzköpfige oder dauergelockte,aber leider taube, durch irgendeine vermeintliche Wichtigkeit dorthin gezwungene Hörerschaft, die eigentlich eine Nichthörerschaft gewesen sei, drinnen schnarchte.
    Der Flügel nahm fast das ganze Viereck des winzigen Zimmers ein. Um ihn herum standen leere Bierflaschen über den Teppichboden verteilt.
    »Theoretisch kannst du ihn haben«, sagte Marc. Er saß auf seinem Bett, hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Kinn in die Handflächen gelegt. Zwischen Mittel- und Ringfinger klemmte eine selbstgedrehte erloschene Zigarette, die er offensichtlich vergessen hatte. Er blickte, während er redete, mit zusammengekniffenen Augen auf einen unsichtbaren Punkt, der gleichzeitig in der Mitte des Zimmers und weit dahinter zu liegen schien. Sobald man Musik zum Klingen bringe, sagte er, sei man wieder in der Zeit. Sei Teil der Zeit, die einen mitnehme, im wahrsten Sinn des Wortes, und nur wenn man Musik auf einmal denke, wie ein Gemälde oder eine Statue, stehe sie, stehe man selber, außerhalb.
    »Es ist«, sagte er und blickte zu Tom am Klavier hinüber, »es ist, als ob du einen ICE nimmst und für einen Moment neben die Gleise stellst.« Er lächelte und schloss die Augen, als hätte er für immer alles gesagt. Er hörte oder er schlief, das Kinn in die Handflächen gebettet, während Tom weiterspielte und Sehnsuchts- und Liebesmotiv modulierte und darüber phantasierte und die Harmonieverbindungen wirklich an ihm vorüberflogen wie die Zeit und die Landschaften bei einer Zugfahrt, Berge und Meer und einige Jahrhunderte, bevor er, verlegen fast, als hätte man ihn bei einer sehr geheimen Tätigkeit ertappt, die Hände, die das angerichtet hatten, in den Schoß legte und vorwurfsvoll ansah. Er wusste gar nicht, wie lang ergespielt hatte. Marc aber hielt noch immer die Augen geschlossen.
    »Er passt zu dir«, sagte er plötzlich. »Wer weiß, vielleicht schenke ich ihn dir mal.«

TAG ZWEI
    War das schon Freundschaft? Tag eins ihrer Freundschaft, oder eher eine Vorstufe davon, ein diffuses Gefühl der Sympathie, weil schließlich Freundschaft, wie er annahm, nicht wie eine Blume, exotische Riesenblüte, im Zeitraffer aus dem Wüstenboden der Einsamkeit explodierte, sondern sich wie die Musik entlang der Zeit entwickelte, auf das Vergehen der Zeit angewiesen war in der Art eines Langstreckenläufers? Denn ohne Zeit keine Laufwettbewerbe, ohne Zeit kein Pflanzenwachstum, ohne Zeit keine Freundschaft, ohne Zeit kein gar nichts, wie er annahm, aber er war sich nicht sicher.
    Er stand in Genua, in tiefer Gassenschlucht, rauchend, während die Nacht ihn überwölbte und all die Gedanken an Marc, an das Einkaufszentrum, an die Zeit, an die Freundschaft, in wenigen Minuten, scheinbar unbeeinflusst von ihm selbst durch seinen Kopf zogen. Als er weiterging, in Richtung Meer, versuchte er, die Gedanken bewusster zu setzen, sie zu steuern wie seine Schritte. Er war sich heute wie damals, dachte er, nicht sicher, ob es eine Freundschaft auf den ersten Blick gab. Er war kein Freundschaftsexperte, hatte vor Marc eigentlich nie einen Freund besessen, wenn überhaupt, waren es mehrere Freunde gewesen, sogenannte »Cliquen«, mit denen man im Halbkreis auf dem Schulhof herumstand und heimlich rauchte oder abendsin Bushäuschen saß, Bier trinkend, Wein aus Tetrapak-Kartons. Er selbst hatte sich immer etwas abseits aufgehalten, war zu diesen Treffen mehr aus Pflichtbewusstsein erschienen, weil, so hatte er gedacht, diese Treffen, die man absolvierte, zum Leben dazugehörten wie die Schule, die man ebenso absolvierte, kein Mensch wusste, warum, oder allabendliches Zähneputzen, sonntägliche Kaffeebesuche bei Verwandten.
    Zu Hause gefühlt hatte er sich nicht im Halbkreis der Schulfreunde, was er keineswegs als Mangel empfand, da er sich nirgends zu Hause fühlte, am wenigsten zu Hause, außer in seiner Dachkammer, wo das Klavier stand, als zufälliger Fremdkörper in diesem verschlossenen Eternithaus, weil sein Vater, Schreibmaschinen-Holler, aus der Konkursmasse eines zahlungsunfähigen Klienten nicht

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