Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
hinterhergeschmissen bekomme und die auch noch, wie man höre, ziemlich vergänglich sei? »Oder wie? Oder was ist es, das uns gefällt«, fragte er Tom, der aber, weil er es nicht sagen konnte, mit einer Gegenfrage antwortete: Was denn umgekehrt das Instrument dieses Gefallens sei. Womit wir denn dieses Gefallen, das bezeichnenderweise ein passives zu sein schien, überhaupt wahrnähmen, ob dies das Auge sei, der Geist sei, oder die Nase, fragte er Marc, der es auch nicht wusste. Und so liefen sie durch die Nacht und forschten noch lange, denn vieles kennt der Mensch, doch sich selbst am wenigsten.
DIE LIEBE (ALLGEMEIN)
Marcs Interesse für die Frauenwelt war im Allgemeinen eher allgemeiner Natur. Es ging weniger in die Tiefe als in die Breite. Sein Fraueninteresse umfasste möglichst viele weibliche Wesen, es spazierte um die Frauen herum in weiten Bögen, umzingelte sie in ihrer Gesamtheit, kreiste sie ein und betrachtete sie auf diese Art umfassend und von allen möglichen Seiten.
Marietta war da eine unter vielen. Eine aber, mit der man vorsichtig umgehen musste, da ihre Wangen marzipanfarben waren, wenn sie spielte, den Kopf schräg an das Holz ihrer Geige gepresst, wie zur Liebkosung.
Die anderen, die Marc mitbrachte, mit denen er nachts auf dem Sofa saß, mit ineinander verhakten Beinen und unzähligen Händen, die unter knappe Kleidungsstücke rutschten, nahmen für gewöhnlich an den darauffolgenden Vormittagen am Frühstückstisch Platz, wo das Morgenlicht aus dem Viereck des Hinterhofs auf ihre Gesichter fiel oder ein heller Seitenblick Marcs. Manchmal aber blieb es auch dunkel vom Hof und / oder von der inwendigen Lichtquelle Marcs her.
Für diese letzteren Fälle hatten sie ein Zeichen verabredet. Marc kam in die Küche und sagte: »Haben wir noch Kaffee?« Tom, der sofort verstand, öffnete den Schrank, sah in eine Dose und schüttelte mit bedauernder Miene den Kopf, Gelegenheit für die Frau, um auf Wiedersehen zu sagen und mit einem Anstandskuss durch die Wohnungstür in die kühle Freiheit des Treppenhauses zu entschwinden.
»Du bist furchtbar«, sagte Tom manchmal.
»Warum?«, antwortete Marc.
»Wenn sich mal eine ernstlich in dich verliebt, was dann?«
»Dann verliebe ich mich auch in sie, versprochen.«
Tom dagegen war ein Spezialist. Oder ein Idiot, wie Marc es formulierte. Er konzentrierte sich auf die Klavierstunden in der Hermannschen Villa, die im Winterlicht im kahlen Garten ein stilles, ein ewiges, ein hinter den Rosenheckenmauern schlafendes Märchenland war. Darin die Schneekönigin in kniehohen Stiefeln, die der Klavierlehrer ihr am liebsten sofort ausgezogen hätte. Aber nicht er war es, der entschied, wie der Unterricht im Einzelnen vonstattenging, zudem hatte er zuallererst einen pädagogischen Auftrag zu erfüllen, und seine Schülerin machte Fortschritte, was den Lehrer mit Stolz erfüllte.
»Du müsstest sie mal hören«, sagte er zu Marc.
Der grinste nur.
»Nein wirklich! Wie sie jetzt den Chopin spielt, sie hat Gehör, sie spürt die Struktur, sie spielt wirklich intelligent!«
»Sie hat einen guten Lehrer, der auch noch verliebt ist. Da kann sie ja gar nicht schlecht spielen.«
Tom verdrehte die Augen.
Noch immer hatten sie kein Wort gewechselt, kein wirkliches Wort über ihre seltsame Beziehung. Sie sprachen über die Hunde, die manchmal zum Tierarzt mussten, über die Kinder, die manchmal anriefen und Weihnachten nach Hause kämen, und Tom wurde sogar in die Geschenke eingeweiht, die sie unter dem bis zur Decke reichenden Christbaum im Salon erwarten würden: Patrizia bekam seidene Unterwäsche, ein Buch und eine Spiegelreflexkamera, die sie sich gewünscht hatte. Udo bekam auch eine Spiegelreflexkamera, obgleich er schon eine besaß, aber der Gerechtigkeit halber, einen dunkelblauen Pullunder und ein Buch. Alles zog Frau Hermanns für Tom aus dem riesigen Wohnzimmerschrank hervor und zeigte es ihm, indemsie jeden der Gegenstände, einen nach dem anderen, mit weit ausgestreckten Armen vor sich in die Luft hielt wie eine Monstranz. Die Hunde bekamen jeder eine Wurst (sie wurden nicht gezeigt, weil noch nicht gekauft, wie Tom annahm). Über die Geschenke für Volker, ihren Mann, sagte sie nichts.
»Was bekommt Ihr Mann?«, fragte daher Tom, er nahm einen Schluck Bio-Orangensaft und schob sich ein Plätzchen in den Mund, wischte sich einige Krümel von der Hose.
»Tja«, sagte Frau Hermanns, und sie seufzte, »wenn ich das nur wüsste. Aber vielleicht fällt
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