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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Portofino … I found my love«, das den Inhalt des Stücks noch einmal auf den Punkt bringt, bevor der fahrende Zug immer kleiner wird, sich immer tiefer in die Landschaft senkt und endlich im Dunst ganz verschwindet.
    Dann kam die Stille. Sie strömte von allen Seiten herbei und schloss sich luftdicht um Publikum und Orchester und erstarrte. In Toms Gehörgängen aber rauschte das Blut. Klein und entfernt sah er Marietta, hochaufrecht auf ihrer Stuhlkante sitzend wie das Modell eines Malers. Er sah klein und entfernt, dass dort, wo früher einmal ihr Mund gewesen war, nun eine waagerechte Kerbe verlief, weil die Lippen nach innen gestülpt waren und von den Schneidezähnen zerbissen wurden. Er sah das ganze steife, hoch aufgerichtete Orchester mit leeren Gesichtern. Und erst allmählich begriff er, was er angerichtet hatte. Und er wünschte nichts Geringeres als seinen sofortigen, für alle völlig überraschenden Tod. Er schloss die Augen und senkte das Kinn auf die Brust. Aber er starb nicht. Aber ein einzelnes Klatschen sprang hallend in den Raum, zersprengte die luftdichte Schicht, und ein anderes Klatschen von anderer Seite hatte es nun schon leichter und hüpfte hinterher, bevor weitere folgten, denn was drei gut finden, kann so schlecht nicht sein, und immer lauter und raumgreifender und geschlossener wurde der von den Wänden widerhallende Applaus, in welchem sich vielleicht die gesammelte Langeweile und Ratlosigkeit des Publikums entluden. Vereinzelte Bravo-Rufe sogar, denn eine Zugabe war nicht zu befürchten. Der Klavierspieler aber wünschte sich nur hinaus aus diesem Lärm, aus diesem hell erleuchteten Blickfeld Hunderter fremder Menschen. Er wünschte, dass der Bühnenboden sich auftäte und sich über ihm wieder schlösse, was nicht eintrat. Stattdessen erhob sich Marc in seinem Augenwinkel und lief an der Bühnenkante entlang, die drei abgewetzten Holzstufen hinauf und nickte dem Orchester zu mit bleichem Gesicht, in das aber die Aufregung rote Flecken gebrannt hatte. Das ensemble stand geschlossen und ließ den Applausüber sich hinwegfegen. Tom aber schwankte und griff nach dem Flügel, um sich festzuhalten.
    In der Garderobe, von der er gar nicht wusste, wie und wann und wieso er sie erreicht hatte, ließ er sich auf einen Stuhl fallen, tat nichts als zu atmen. Dann aber kamen die Gedanken, einer hinter dem anderen summten sie durch sein Gehirn, unerbittlich dieselbe Richtung einschlagend und unaufhaltsam, unumkehrbar, weil richtig, schossen sie auf ein einziges Ziel zu: Tom Holler hat alles verdorben. Tom Holler hat Marcs Komposition erledigt, hinterrücks liquidiert, indem er sie auf eine Schlagerschnulze hat hinlaufen lassen aus Angst vor der Stille, aus Anbiederung, was noch schlimmer ist, an ein Musical- und Operetten- und bestenfalls noch ein Mozart-Publikum. Immer wieder bedachte er dies in unterschiedlicher Zuspitzung: Die Uraufführung von Marcs Werk hast du erledigt. Das Meisterwerk deines besten und einzigen Freundes hast du in den Dreck gezogen. Den musikalischen Makrokosmos dieses begabten Komponisten hast du kaputtgemacht, hast du zerstört, hingerichtet, in den Erdboden hineingetreten mit deinem Kitsch, dachte er immer wieder, während er auf die beigefarbenen Teppichfliesen hinuntersah, die an den Ecken ein wenig aufstanden. Nicht einmal eine Zigarette wollte er rauchen, als Ulrich ihm eine anbot. So muss sich ein Mörder fühlen, dachte er, als er den Blick hob und sah, wie Marc mit Marietta in der Tür stand, wo eine Notausgangsleuchte über ihren Köpfen brannte und das Viereck mit grünem Licht ausgoss. Eine Komposition umbringen oder einen Menschen umbringen ist dasselbe, dachte er in diesem Moment.
    Marietta, viel kleiner als Marc, lehnte ihren Hinterkopf an den braun lackierten Türrahmen, sah scharf an ihrem Freundvorbei in Richtung Flur, in Richtung Bühne, als könnte sie dort noch etwas gutmachen. Dann wurde ihr Blick von einem der Garderobenspiegel aufgefangen und zu Tom getragen. Hastig wandte er die Augen ab, die jetzt wieder die beigefarbenen Teppichfliesen untersuchten. Gewellt waren sie und abgeschabt, mit Kaffeeflecken bedeckt. Wer alles schon darauf gestanden hat, überlegte er. Geiger, Pianisten, Sänger auch und Dirigenten am Anfang ihrer Karriere, bevor sie in die Einsamkeit des Ruhms und der Einzelgarderobe verschwanden. Sie alle hat ein großer Gedanke, eine Liebe oder auch die Gemeinsamkeit verbunden, nichts anderes zu können als: Musik. Du aber, musste

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