Die Orestie
mich, deutliche Zeugen sind's,
Weinende Kindlein, jäher Mord,
Ihr Fleisch gebraten und vom Vater aufgezehrt!
CHOR.
Wir haben sonst schon viel von deinem Seherruf
Erfahren alle, suchen jetzt Wahrsager nicht!
Vierte Strophe
KASSANDRA.
O Götter ihr! Weh, was ersinnt sie jetzt?
Welch unerhörtes, neues Weh,
Welch gräßlich Unheil drinnen beginnt die Wilde jetzt –
Unsagbar, unsühnbar, ein Fluch allen! Ach, und Hilfe von keiner Seite!
CHOR.
Mir unbegreiflich sprachst du dies Orakel aus;
Klar war mir jenes; denn die ganze Stadt erzählt's!
Vierte Gegenstrophe
KASSANDRA.
Unselge du! Wehe, du führst's hinaus!
Der an der Seite dir geruht,
Den du ins Bad lockst, deinen Herrn – wie sag ich's ganz?
Denn gleich ist's erfüllt – frech hervor recket, ach! schon hastig sich Arm um Arm!
CHOR.
Ich faß es nimmer, unerklärlich Rätsel birgt
Mir deiner zukunftschwangren Worte dunkler Sinn!
Fünfte Strophe
KASSANDRA.
Ach! ach! o schau! o schau! Wieder, was seh ich da?
Ist's gar ein Netz des Todes?
Die Schlinge Bettgenossin, Blutgenossin
Des Mordes ist's! Jauchze, du wilder Haß
Dieses Geschlechtes, jetzt diesem Blutopfer zu!
CHOR.
Weh! Welchen Dämon rufst du auf, in diesem Haus
Wild aufzujubeln? Fröhlich macht dein Wort mich nicht!
Nein, in das Herz zurück stürzt mir in dumpfer Angst
Das Blut totenbleich, wie der Verwundeten
Brechendes Auge der Tod tief in Nacht hüllt;
Verderben eilt gar zu schnell!
Fünfte Gegenstrophe
KASSANDRA.
Ach! ach! o sieh! o sieh! Halt von der Kuh doch fern
Den Stier! Im weiten Mantel
Fängt sie den schwarzgehörnten ein mit arger List!
Sie trifft – er sinkt, sieh, in des Beckens Flut! –
Von dem Geschick in mordlistgem Bad hörtest du!
CHOR.
Nicht großer Kunde rühm ich mich im Deuten von
Orakelsprüchen; doch ein Unglück ahnd ich hier!
Wo ist ein freundlich Wort von den Orakeln je
Den Sterblichen gesandt? Im Leid selber erst
Lassen verstehn die vieldeutigen Sprüche
Die gottgeweissagte Furcht!
Sechste Strophe
KASSANDRA.
O mein, der Armen, gar zu betrübtes Los!
Denn um mein eigen Leid sing ich die Klage mit drein!
Warum denn hierher hast mich Arme du gebracht?
Doch einzig, daß ich mit dir stürbe! Wozu sonst?
CHOR.
Dich hat ein Gott verwirrt,
Dir das Gemüt verstört, daß unselgen Sang
Du von dir wie die Nachtigall wehklagst,
Die im betrübten Sinn, ach! des Rufs nimmer satt,
Itys, o Itys! seufzt; ewiger Gram umblüht
Ihr Wehklageleben!
Sechste Gegenstrophe
KASSANDRA.
O selig Schicksal singender Nachtigall!
In den beschwingten Leib kleideten Götter sie
Und gaben süße, tränenlose Tage ihr;
Doch meiner harret Mord von doppelscharfer Axt!
CHOR.
Aber von wannen kam,
Kam dir vom Gott gestürmt der Angst eitler Wahn,
Daß du dir die Gefahr so tief wehklagst,
Wider sie jammerlaut, hellen Schmerz gellend schreist?
Wer hat das Ziel der weissagenden Klage dir,
Das Fluchziel, gesetzt?
Siebente Strophe
KASSANDRA.
Du Ehe, Paris' Ehe, weh!
Die du den Freunden Tod gebracht!
O du Skamandros, meiner Väter Trank!
An dem Gestade dein lebte ich Arme wohl glückliche Tage sonst!
Nun glaub ich, am Kokytos, an des Acheron
Felsufern werd ich singen meine Sprüche bald!
CHOR.
Wie du es uns mit dem Wort gar zu verständlich sagst!
Und auch ein Kind verstünde dich;
Mich schlägt, blutig schlägt nagender Kummer mich,
Wie dein bittres Los wissend umsonst du beweinst,
Wunder zu hören mir!
Siebente Gegenstrophe
KASSANDRA.
Du Gram, o Gram du meiner Stadt, die du zumal dem Tod erlagst,
Oh, meines Vaters fromme Opfer ihr,
Prangender Herden Blut, unserer Stadt zum Heil; aber es gab kein Heil,
Daß unsre Stadt nicht litte, was ihr jetzt geschehn! –
Ich aber sinke bald im heißen Todeskampf!
CHOR.
Wie du vorher, so sprichst wieder du gar zu klar!
Sag, welcher schwererzürnte Gott
Erfaßt überstark dich, stürmt wild dich empor,
Daß Wehklage du, Jammer des Todes du singst?
Wie wird das Ende sein?
KASSANDRA.
Es soll von nun an unter Schleiern nicht hervor
Die Verheißung blicken gleich der neuvermählten Braut;
Ein heller Frühwind, wird sie wach, dahinzuwehn
Gen Sonnenaufgang, und es rauscht wie Meeresflut
Bei dieser Blutschuld erstem Strahl gewaltiger
Empor! Verkünden will ich nicht in Rätseln mehr!
Und seid mir Zeuge, daß ich, jeder Spur gewiß,
Des allverübten Frevels Fährte wittere.
Denn dieses Haus läßt nimmermehr des
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