Die Orgelpfeifen von Flandern
Familie Monnet-le-Roy, woher das Sirren leise an ihn wehte, sondern aus einem daneben geschah es, das in Grün gehalten war, höher als kopfhoch und steinern; ein verrostetes Gitter schloß es nicht mehr ab, sondern gab das Innere indiskret preis. Man hatte zwischen die schräg hineingekippte, nüchterne rechte Seitentür und die schimmelig-moosige Steinwand Papiertaschentuchfetzen geworfen, zerknüllte Zigarettenpäckchen und sogar ein verschrumpeltes Präservativ. Laub war hineingeweht. Vor dem verwitterten Monumentchen lag umgefallen eine Grabplatte, rechts davor stand kniehoch eine abgebrochene Säule, an die ein glatter, anonymer Totenstein lehnte. Die Regenfäden, die ohnedies vom Stoff längst nicht mehr absprangen, sondern das Viskosefutter klammgeschwämmt hatten, drangen nun bis auf die Haut. Ansgar spannte die Muskeln in Oberarmen und Schenkeln, trat etwas näher heran und lauschte. Nein, ein Singen war im Grabhaus nicht; er erhoffte es sich nur. Leise sagte er etwas, auf französisch, lauschte wieder. Nichts. Nur eine Abwesenheit, die wie körperlich war und als betrachtete ihn jemand durch sie hindurch. Er wiederholte den Satz etwas lauter. Es war eine Frage. Getröpfel auf Blättern, Platschen auf Steinen. Ansgars ausgestreckte Finger berührten die Tür, versuchten, sie zu bewegen. Es gab keine Wirkung. Aber gerade, daß alles so unnahbar, nicht anrührbar blieb, beatmete ihn mit einer fernen Gegenwart, einer ganz mühsam nur und doch in ihm aufsteigenden, halb noch schlafenden Bedrängnis. Als er sich mit der Zunge den Regen von der Oberlippe leckte, schmeckte er Salz, und die Tasche, die ihm am aufgequollenen Lederriemen über der linken Schulter hing, war unendlich schwer geworden. Es blieb ihm gar keine Wahl. Er nahm seine Ausweise, seine Geldbörse heraus und stellte die Tasche in das Häuschen, wiederholte die Frage, blieb weiterhin ohne Antwort. So beugte er sich noch einmal vor und schob die Tasche ganz nach links an die Wand, drückte sie hinter die Tür, verwischte in Laub und Abfall seine Spuren. Dann richtete er sich auf, schloß die Augen, horchte angestrengt. Nichts. Nichts außer dem unentwegten, erbärmlichen Rieseln und Platschen über und auf Kies und Gestein und auf Blattwerk, und außer ein paar hohen Lachschnipseln, weit fernab, von den Touristen her. Daß sich so gar nichts anderes tat, verärgerte ihn; ja zunehmend wurde ihm seine Melancholie geradezu lästig. Deshalb wandte er sich um mit einem knappen Ruck und entschritt dem Gelände. Erst jetzt war ihm die klamme, ungesunde Feuchtigkeit bewußt, die ihn, derart antwortlos geblieben, verhüllte.
E ine feine, plastine Haut schien er zu penetrieren, kaum daß er das nordwestlich gelegene Hauptportal durchtrat; er spürte das nicht nur als ein Ziehen an Stirn und Mund, nein als hätten sich jetzt erst die Gehörgänge geöffnet, platzten hell, wie Lichtreflexe, Geräusche um ihn auf. Leben pulste in den Straßen, die überplante Gemüsestände bordierten. Unter Glaspergolen saßen Bummler. An den Straßenecken gestikulierten schwatzende Frauen, rauchten Männer ein stinkendes Kraut aus verkohlten Pfeifenköpfen. Gelächter. Jemand rührte in einem Glas dampfenden Tees. Ansgars Blick fiel auf die Uhr über einem Zeitungsladen. Sollte schon Nachmittag sein? Das war unmöglich. Gewiß war die Uhr stehengeblieben. Er fragte, fließend sprach er den französischen Satz, den Kellner eines Restaurants, der, Hände in der Weste, selbstzufrieden vor der Schwingtür stand. Also doch. Man ahnte bereits die gleichwohl verfrühte Dämmerung. Wirklich hell war es heute, wegen der schwergrauen, beinah greifbaren Wolkendecke, ohnedies nicht geworden. Klammkühl klebten die Kleider am Leib. Er mußte dringend die Wäsche wechseln. Eine zweite Hose, zweite Jacke, geschweige einen weiteren Mantel hatte er nicht mitgenommen. Hoffentlich fand sich auf dem Hotelgang eine Dusche. Doch ihn bangte, nach La Villette zu fahren. Sich etwas aufwärmen jetzt, irgendwo einkehren, einen Café trinken. Erst einmal dies.
Er setzte sich zu einer jungen Frau, blinzelte sie an, versuchte ein Gespräch. Die Sätze glitten ihm über Zunge und Lippen. Als er in die aneinandergelegten, hohlen Hände blies, lächelte die stupsnäsige, hübsche Person. Sommersprossen um die Nüsterchen. Die maronengetönten Haare kinnlang zum Rahmen geschnitten.
Welch fürchterliches Wetter! - Er sei Deutscher? -Höre man das am Akzent? - Sie lächelte nickend. Er sei schrecklich
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