Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
hat alle Termine wahrgenommen, die er machen wollte. Er muss auf dem Weg ins Hotel aufgehalten worden sein.«
»Glaubst du nicht, man sollte langsam mal die Polizei informieren?«
»Unsinn. Wenn das die Presse erfährt! Es geht keinen was an, wo er ist.«
»Aber ihm ist was passiert. Da bin ich ganz sicher. Versuch’s doch mal in den Krankenhäusern.«
Chloe runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und ging. Als die Tür geschlossen war, spürte Mara mit einem Mal eine furchtbare Einsamkeit. Ihre Finger schienen plötzlich zu Eis gefroren zu sein, steif, bewegungsunfähig.
Ich hätte das Konzert absagen sollen, dachte sie. Einfach absagen. Mich darum kümmern, was mit John ist. Es kann nicht sein, dass er mich so alleine lässt. Unmöglich.
Die Tür ging auf. »Zwei Minuten«, sagte jemand. »Ouvertüre läuft schon.«
Als wäre sie nicht sie selbst, nahm sie Tamara und ging hinaus in den Flur und Schritt für Schritt in Richtung Bühne. Die bombastische Musik wurde mit jedem Schritt lauter.
Sie nahm ihren Platz ein. In diesem Moment hatte sie endgültig das Gefühl, nicht mehr selbst zu bestimmen, was geschah. Irgendetwas zog sie durch die Ereignisse. Sie folgte nur den Klängen, die um sie herumflossen wie ein Meer aus Tönen – sie folgte den Melodien, darunter Themen aus Star Wars oder Fluch der Karibik . Dann kam ein ruhigerer Teil mit ihren eigenen Titeln, die sie im zweiten Teil in voller Länge spielen würde – Stücke mit romantischen Namen wie »Yearning« oder »Horizons of Harmony«.
Die Blechbläser setzten ein, färbten den ohnehin schon massiven Orchesterklang mit Messingglanz. Mara stand inmitten des flammenden Rots, setzte die Violine an, denn jetzt kam der Moment, in dem man ihre Silhouette erkannte. Sie stand in Positur. Der Einsatz kam, und ihre Finger spielten und spielten – wie von selbst. Maras Geist hatte sich in einem Loch verkrochen, voller Angst, aber ihre Fassade, die immer weiter Musik produzierte, stand fest, und wie aus weiter Ferne hörte sie den Jubel des Publikums nach dem ersten Solo.
Danach kam der Klassik-Teil, das Licht wurde etwas milder, wechselte nach und nach über Violett zu Blau. Maras Finger spielten eine Zusammenstellung aus Themen des großen Geigenvirtuosen Paganini und Sarasates Zigeunerweisen . Die LED -Wand produzierte virtuelle Landschaften mit einem schwarzblauen Himmel, auf dem dramatisch die Wolken jagten. Die Dramatik passte gut zum folgenden Set mit Filmthemen wie Star Wars: Episode 1 – Die dunkle Bedrohung , in das der Arrangeur einen elektronischen Chor eingebaut hatte. Das Stück war ein einziges Voranpeitschen mit rasenden Violinläufen im Orchester und knalligen, spitzen Trompetenläufen, die Maras Begleitern einiges abverlangten. Doch über allem erhob sie sich ganz allein, mit ihrer Schwarzen Violine, in selbstbewusster Siegerpositur – das eine Bein nach vorn gestellt und geigend, als gälte es, die Welt zu retten.
Sie folgte blind dem Geschehen, gab sich ihm einfach hin. In weiten Variationen trieb sie über den berühmten Pachelbelkanon dahin, ein ruhiges, aber sich gewaltig steigerndes Stück, in dem sie von Projektionen sich drehender Kreise eingehüllt war – virtuelle Zahnräder, die in einer verwirrenden, aber perfekten Konstruktion ineinandergriffen und das Gefühl vermittelten, Mara sei Teil einer großen universellen Maschine.
Endlich erreichte sie den Höhepunkt des letzten Stücks vor der Pause. Mara nahm den Applaus, die Pfiffe und Rufe der Fans entgegen und marschierte mit langen Schritten von der Bühne.
In den kleinen neonbeleuchteten Gang zurückzukehren war wie der Sprung aus einem lärmenden Maschinenraum in ein verlassenes Parkhaus. Mara ging weiter, alle wichen ihr aus. Nur Chloe nicht, die vor der Garderobentür stand.
Mara drängte sich an ihr vorbei. Drinnen warteten zwei Männer auf sie. Der eine hatte sich auf die kleine Couch gesetzt und erhob sich, als Mara hereinkam.
»Was ist los?«, fragte sie. »Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Langner«, sagte der Mann, der aufgestanden war. »Und das ist mein Kollege Teltow.«
Mara blinzelte. Sie war immer noch so von der Show gefangen, dass ihr erst jetzt auffiel, dass die beiden Männer Uniform trugen. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass sich Chloe hereindrückte.
»Sie sind Mara Thorn«, stellte Langner fest.
»Allerdings.«
»Wir müssen mit Ihnen sprechen. Dringend.«
5
Quint zog die Tür hinter sich zu und blickte auf das schmale Bett mit der
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