Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
grauen Tagesdecke, auf den einfachen Tisch und den kleinen Sessel, dessen Bezug wohl einmal dunkelrot gewesen war. Jetzt wirkte er ausgebleicht, und der Stoff war abgeschabt. Sicher war er durchgesessen und unbequem.
Er zog es vor, auf dem Bett Platz zu nehmen.
Er hatte keine Ahnung, ob ihm die Frau an der Rezeption dieses kleinen Hotels am Rande von Berlin den amerikanischen Touristen abgenommen hatte, der sich die deutsche Hauptstadt, Potsdam und Brandenburg ansehen wollte. Es war ihm auch egal. Er wusste, dass für die meisten Deutschen die Amerikaner nach wie vor zu einem Völkchen mit seltsamen Angewohnheiten gehörten. Man ließ ihn in Ruhe, und das reichte.
Er zog sein Handy heraus und schaltete es ein. Das Telefon zeigte siebzehn Anrufe in Abwesenheit. Er drückte auf Rückruf, und sofort meldete sich eine Frauenstimme.
»Wo haben Sie gesteckt?«
Quint kannte von der Frau nur diese Stimme. Ihr vibrierendes Timbre besaß eine faszinierende Ausstrahlung, die so stark war, dass er sich schon oft gefragt hatte, wie die Frau wohl aussah. So etwas hatte er selten erlebt. Normalerweise waren es Bilder, die ihn erregten, und keine Stimmen.
Jetzt klang sie allerdings nicht so verrucht wie sonst. Sie hatte die erotische Dimension verloren, wirkte eher spitz und kalt.
Quint konzentrierte sich. Es ging ums Geschäft.
»Es ist alles erledigt«, sagte er.
»Das heißt, Sie haben es getan?«
»Das heißt es.«
»Sie haben ihn … umgebracht?«
Quint sprach gut genug Deutsch, um zu bemerken, dass sich die Aussagen der Frau im Kreis drehten. Wahrscheinlich hatte er sie falsch eingeschätzt. Nach dem, was er von ihr wusste, war sie eine toughe, starke Persönlichkeit. Jetzt, wo die erste Station dessen, was sie erreichen wollte, erreicht war, schien sie plötzlich unkontrolliert, irrational zu werden. Und sie beging auch noch einen groben Fehler.
»Was haben wir abgesprochen?«, sagte er.
»Ich verstehe. Ich soll nicht am Handy …«
»Es ist, wie gesagt, alles erledigt«, fiel ihr Quint ins Wort. »Details folgen. Wenn Sie möchten, persönlich.«
Ja, dachte er. Persönlich wäre nicht schlecht. Endlich würde er die Frau hinter der Stimme einmal zu sehen bekommen …
»Dazu wird es Gelegenheit geben. Aber jetzt geht es weiter. Wie schon angedeutet.«
Quint wartete darauf, dass sie weitersprach, aber sie schien nachzudenken. Zeit, etwas anderes in Erinnerung zu bringen.
»Sie denken daran, dass ich die zweite Rate meines Honorars erhalte?«
»Ja, ja natürlich.«
»Ich habe Ihnen die Daten online zukommen lassen.«
»Kein Problem.«
»Das ist gut. Was soll nun als Nächstes geschehen?«
»Sie müssen Mara im Auge behalten.«
»Was meinen Sie damit?«
»Die Sache wird ihr nahegehen. Wir müssen sicher sein, dass sie nicht abtaucht. Zuzutrauen wäre es ihr.«
»Kennen Sie sie so gut?«
»Sehr gut sogar, glauben Sie mir.«
Es würde nicht lange dauern, bis die Nachricht über Grittis Tod bei den Musikleuten inklusive Mara ankam. Es war besser, sofort aufzubrechen.
»Haben Sie verstanden?«, fragte die Frau.
»Selbstverständlich. Denken Sie an das Honorar.«
Quint beendete das Gespräch. Dann sah er auf die Uhr.
Die nächste Viertelstunde verbrachte er damit, einen Laptop aufzubauen, sich ins Internet einzuloggen und einige Recherchen über Mara Thorn anzustellen. Schließlich loggte er sich in eine Website in der Schweiz ein und gab einen vierzehnstelligen Code ein. Eine Tabelle erschien. Sie zeigte die aktuellen Bewegungen auf seinem Konto.
Weitere fünfzigtausend Dollar waren heute eingegangen. Sehr gut.
Quint schaltete den Computer aus und machte sich auf den Weg.
»Hätte das nicht Zeit bis später gehabt?« Chloe funkelte die beiden Beamten an und stellte sich zwischen sie und Mara. »Frau Thorn muss ein Konzert geben.«
»Aber jetzt ist ja wohl Pause«, sagte Langner seelenruhig und zog einen Notizblock heraus.
Ein Gefühl der Schwäche rollte über Mara hinweg. Die Tür der Garderobe stand immer noch offen. Auf dem Flur drängten sich Leute vom Organisationsteam.
»Gehen Sie raus«, sagte Chloe. »Sofort. Ich muss erst mit Mara reden. Sie sind gleich dran.«
Eine Sekunde sah Mara die Polizisten zögern. Doch dann verließen sie den Raum, und Chloe schloss die Tür. Die plötzliche Ruhe tat Mara gut. Sie legte die Violine in den Kasten, ließ ihn aber offen und setzte sich auf einen Stuhl vor dem kleinen Schminktisch.
»Er ist tot, oder?«, sagte sie. »Lüg mich bitte nicht
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