Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
an.«
Die PR- Managerin, die an der Tür lehnte, blickte nach unten. Unglaublich, wie verletzlich sie plötzlich wirkte. Das war eine ganz neue Seite an ihr, und Mara war klar, dass sie recht hatte.
»Ein Autounfall«, sagte Chloe leise.
»Wirklich tot?«, hakte Mara nach.
Chloe nickte nur, und Mara hatte plötzlich das Gefühl, eine eiserne Hand greife um ihren Oberkörper und drücke ihr die Luft und das Blut ab. Es pochte in ihrem Kopf, sie atmete schwer.
»Wie ist es passiert?«, fragte sie.
»Sie wissen es nicht genau. Es hat ohnehin eine Weile gedauert, bis sie herausgefunden haben, dass …« Chloe stockte, nahm die Brille ab und wischte sich über das Gesicht.
»Was meinst du?«, fragte Mara.
Sie schüttelte den Kopf. »Ach, vergiss, was ich gesagt habe.«
»Was soll das heißen, sie haben eine Weile gebraucht?«
»Du musst dich jetzt entspannen, Mara. Du hast ein Konzert zu spielen.«
Mit ungeheurer Wucht brach sich der ganze Druck, der sich in Mara aufgebaut hatte, plötzlich Bahn. »Ein Konzert?«, stieß sie wütend aus. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich da noch mal rausgehe. Nach dieser Nachricht.«
Chloe wischte noch einmal über ihre Augen, setzte die Brille auf und sah Mara streng an. »Selbstverständlich wirst du da rausgehen. Was stellst du dir denn vor? Da läuft eine Show. Die kannst du vielleicht abbrechen, wenn du selbst mit dem Kopf unter dem Arm herumläufst, aber doch nicht, wenn John etwas passiert.«
»Ich kann nicht«, rief Mara. »Wie soll ich mich auf meine Musik konzentrieren … nach so was …«
»Wir wissen alle, dass du dich darauf nicht zu konzentrieren brauchst. Dass es nur so aus dir rausfließt. Lass es eben fließen, Mara. John hätte nichts anderes gewollt. Mach deinen Job! Spiel!«
»Sag mir erst, was genau passiert ist.«
»Die Pause ist gleich vorbei, und du musst noch mal in die Maske. Und du musst dich umziehen.«
»Sag mir, was passiert ist, Chloe. Sonst setze ich keinen Fuß mehr auf diese Bühne.«
»Ich erzähl es dir später.«
Mara stand auf. »Willst du es darauf ankommen lassen? Versuch’s nur. Entweder du redest, oder ich bleibe hier drin.« Durch die hohen Absätze ihrer Stiefel war sie etwas größer als die PR- Managerin, sodass Chloe zu ihr aufblicken musste.
»Er hatte einen Unfall.«
»Das weiß ich schon.«
»Er ist von der Straße abgekommen. Zu schnell gefahren. Oder ein Tier hat ihn abgelenkt oder sonst was. Mehr wissen sie nicht.«
»Mein Gott«, entfuhr es Mara. »Kann das so einfach passieren? War ein anderes Fahrzeug beteiligt?«
Chloe seufzte. »Ich weiß es auch nicht. Das heißt, auch das wissen sie nicht. Sie müssen erst das Autowrack genauer untersuchen. Jedenfalls scheint es keine Zeugen zu geben … Bitte, Mara, geh dich jetzt vorbereiten. Spiel die zweite Hälfte. Das gibt sowieso einen Riesenrummel mit der Presse, und wer weiß, was Johns Tod für die Tour bedeutet … Mach jetzt bitte du uns wenigstens keinen Ärger. Ich weiß, es ist schwer für dich, aber wir unterstützen dich alle … Verdammt noch mal …«
Plötzlich liefen bei Chloe die Tränen, und dann tat sie etwas, was sie noch nie getan hatte. Sie streckte die Arme aus, umschlang Mara und drückte sie an sich. Mara spürte Chloes knochigen Körper, fühlte sich bedrängt durch den ungewohnten Gefühlsausbruch der Managerin. Vorsichtig entledigte sie sich der Umarmung.
»Kannst du mir die Bullen vom Hals halten?«, fragte Mara. »Ich steh das ohnehin nicht durch. Und wenn sie mich jetzt gleich löchern, erst recht nicht.«
Chloe machte sich los. »Ich versuch’s.«
»Du kannst ihnen ja von dem merkwürdigen Anruf erzählen.«
»Was für ein Anruf?«
»Von John. Weißt du nicht mehr? Im Hotelzimmer. Du bist kurz danach zu mir gekommen …«
Chloe nickte, vollkommen abwesend, und ließ sie alleine.
Nach dem Umziehen und dem erneuten Besuch der Stylistin hatte Mara noch wenige Minuten für sich. Sie setzte sich vor den Spiegel und blickte ihrem Ebenbild entgegen. Warum musste sie sich eigentlich für die zweite Hälfte wieder komplett verwandeln? Warum konnte sie nicht einfach als Mara auftreten, wie damals in den Klubs, in denen John sie entdeckt hatte? Damals, als alles anfing …
Sie stand auf. Nun erschien ihre gesamte Gestalt in dem Spiegel. Das Minikleid kam ihr nach der schrecklichen Nachricht über John fast obszön vor.
Sie nahm Tamara, stimmte sie erneut, nahm mit der anderen Hand den Bogen und marschierte hinaus – der
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