Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
weiterreden.
»Was willst du?«, fragte sie. »Dass ich mit jemandem zusammenarbeite, der über Leichen geht? Der einem Hirngespinst nachjagt?«
»Hirngespinst? Mara, wir haben Beweise, dass es die Orphischen Melodien gibt. Dass man sie irgendwo aufbewahrt.«
»Orpheus … Das ist doch eine Sage. Ein Mythos …«
»Eine Sage, die wie alle Sagen und Märchen einen wahren Kern enthält …«
Mara fiel etwas ein. Ein Argument, mit dem sie Deborah überzeugen konnte. Es hatte in Johns Unterlagen gestanden. »Selbst wenn du die Melodien findest … Sie sind so alt. Sie stammen aus einer ganz anderen Musikkultur. Glaubst du wirklich, die Menschen fallen in Trance, wenn ich sie auf meiner Geige spiele?«
»Darauf kommt es doch gar nicht an, Mara. Es kommt darauf an, dass wir die Melodien des Orpheus haben – und sie mitsamt der Geschichte von der Musiksekte vermarkten können. Dass wir eine Story haben, die hinter deiner Musik steckt. Die Menschen werden glauben, sie kriegen was ganz Besonderes zu hören, wenn es die Melodien sind, die diesem antiken Genie zugeschrieben werden. Denk doch mal an die Popularität, die die gregorianischen Gesänge erreicht haben. Sie schafften es sogar in die Popcharts. Lieder von Mönchen, über tausend Jahre alt. Oder die Musik von Hildegard von Bingen. Ebenfalls aus dem Mittelalter. Wir gehen eben noch einen Schritt weiter. In die Antike. Zum Ursprung der Musik. Wir gehen sozusagen zurück zu Adam und Eva.«
Jetzt klang Deborah wie eine Marketingmanagerin. Und nicht wie eine durchgeknallte Fanatikerin. Was sie sagte, leuchtete sogar ein.
Welche Rolle spielte eigentlich Orpheus in dem ganzen Spiel? Der Orpheus aus dem Computerchat?
»Bist du sicher, dass du die Einzige bist, die dieses Thema erforscht?«, fragte Mara.
»Gritti hat mich beauftragt, und ich habe die Dinge zusammengetragen.«
»Wer ist dann dieser Unbekannte, der sich Orpheus nennt und der mir Mails geschrieben hat?«
»Das werde ich noch herausfinden.«
»Du glaubst aber nicht, dass er ein verrückter Fan ist, der mich belauert? Du glaubst schon, dass mehr dahintersteckt?«
»Wie gesagt: Ich werde es herausfinden. Aber das braucht dich nicht zu interessieren.«
O doch, dachte Mara. Das sollte es. Es sollte mich sogar sehr interessieren. Orpheus weiß mehr über mich als du. Er hat mir mehr geholfen als du. Obwohl ich ihn nicht kenne, habe ich mehr Vertrauen in ihn als in dich.
Oder täuschte sie sich? Vielleicht war Orpheus einfach nur Deborahs Konkurrent? Vielleicht war er jetzt, wo er Mara brauchte, freundlich und kooperationsbereit. Und vielleicht würde er später sein wahres Gesicht zeigen.
Deborah öffnete den Geigenkasten. Tamara glänzte im Licht des Kronleuchters. »Ich möchte dir eine Chance geben, über mein Angebot nachzudenken.«
»Welches Angebot?«, fragte Mara.
»Das ich dir eben gemacht habe. Das Angebot, mit mir zusammen die Welt zu erobern.«
»Das heißt, ich kann ablehnen?«
»Sicher. Aber dann behalte ich die Geige, und was mit dir geschieht, werden wir sehen. Ich kann jedenfalls nicht zulassen, dass du meinen Plan durchkreuzt. Ich muss den Weg zu Ende gehen.«
Damit schritt Deborah durch die Tür, schloss sie hinter sich und sperrte ab.
Mara nahm die Geige in die Hand, und das Gefühl, dem Instrument wieder so nahe zu sein, überlief sie wie ein warmer Schauer. Sie strich über das Holz, zupfte vorsichtig die Saiten, sodass leise Töne erklangen. Dann setzte sie das Instrument an und nahm den Bogen.
26
Quint sah seine Auftraggeberin ins Zimmer kommen. Er saß in einem der beiden Sessel und hoffte, sie würde in dem anderen Platz nehmen. Und genau so kam es. Quint bekam Gelegenheit, die erstklassigen Beine der Frau zu betrachten. Er war sicher, sie spürte, dass er sie mit wachsender Erregung beobachtete, aber sie blieb kühl und distanziert. Ob ihr klar war, dass ihn das noch mehr anstachelte?
Seine Fantasien, denen er bei den Telefonaten mit Deborah nachgehangen hatte, waren noch übertroffen worden. Diese gefährlichen Katzenaugen, diese Helle, die sie ausstrahlte.
Deborah war ein Vamp, der das Äußere eines unschuldigen Engels zeigte …
Sie schien aus tiefen Überlegungen zu erwachen. Im selben Moment ertönte aus einiger Entfernung ein Geigenton. Dann noch einer. Mara hatte sich also das Instrument vorgenommen und strich die Saiten an.
Er hatte immer noch nicht so ganz verstanden, worum es hier eigentlich genau ging. Diese Mara war Musikerin. Gut. Deborah hatte sie
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