Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
die menschliche Psyche. Ohne Umweg über die Rationalität. Ohne Analyse. Man gibt sich ihr hin, man ist ihr ausgesetzt, ob man will oder nicht. Du behauptest, du hättest die Unterlagen aus dem Computer nicht durchgesehen, aber wenn du jemals dazu kommen solltest, wirst du sehen, dass Gritti seit Jahrzehnten der Frage auf der Spur war, wie Musik die Menschen beeinflusst. Er hat sogar Studien finanziert, die zeigen sollten, wie sich das Kaufverhalten von Menschen in Supermärkten mit Musik verändert.«
Ja, dachte Mara. Das habe ich gelesen.
»Und weißt du«, fuhr Deborah fort, »was diese Forschungen ergeben haben? Nichts. Gar nichts. Sicher, man hat herausgefunden, dass Musik etwas bewirkt. Das hätte man aber auch schon vorher wissen können. Aber welche Musik genau was bewirkt – das liegt im Dunkeln wie eh und je.«
Langsam begriff Mara. Sie erinnerte sich an die Sage von Orpheus und seine besondere Fähigkeit, Musik zu machen, die wirklich etwas bewirkte. Und das ließ in Bezug auf Deborahs Ausführungen nur einen Schluss zu. Aber der war so fantastisch, so abseitig, so verrückt … Nein, dachte Mara, das kann nicht sein.
»So blieb mir nur eine Wahl«, fuhr Deborah fort. »Ich musste die Musik aller Musiken finden. Die Melodien, die alles verändern können. Die Melodien von Orpheus persönlich.« Deborahs Augen glänzten. Sie schien gar nicht mehr Mara anzusehen, sondern in weite Fernen zu blicken. »Mir wurde klar, dass ich die Chance hatte, diesen unglaublichen Schatz zu bergen. Und nach dem Vertrag mit Gritti hätte ich ihm die Erkenntnisse zur Verfügung stellen müssen – damit er sie dann für seine Zwecke nutzt. Damit er daraus Musikstücke für dich arrangieren lässt und aus dir die größte Musikerin macht, die die Welt je gehört hat. Mit Melodien, die wirklich alle Menschen verführen – ob in Amerika oder in China, in Sibirien oder in Kenia.« Sie schwieg und lauschte ihren eigenen Worten nach. »Einen solchen Schatz konnte ich ihm nicht überlassen. Ich musste zu bestimmten Mitteln greifen und Gritti loswerden.«
»Soll das heißen, du hast die Melodien gefunden?«, fragte Mara, und ihre Stimme kam ihr selbst zögerlich und leise vor.
»Sie sind Teil des Schatzes, den die sogenannte Orphische Sekte hinterlassen hat. Ich bin ihrem Geheimnis auf der Spur. Und bald, sehr bald, werde ich alles in Händen halten.« Sie stand auf, strich sich den Rock glatt und sah Mara an. »Du solltest diese Fesseln nicht länger tragen«, sagte sie. »Wir sind ja schließlich Partnerinnen. Ich werde die Orphischen Melodien finden, und du wirst sie auf der Schwarzen Violine spielen. Gemeinsam werden wir unschlagbar sein. Unsere Musik wird die Welt beherrschen.«
Sie kam näher, und Mara wich instinktiv an die Wand zurück. »Aber du hast John ermordet. Du bist eine Mörderin.«
»Ich habe ihn nicht ermordet. Ich habe einen Helfer für solche Sachen. Er saß bei Gritti im Wagen und hatte den Auftrag, ihn dorthin zu dirigieren, wo ich ihn dann treffen wollte – um ihm anzubieten, auf neuer Basis mit ihm zusammenzuarbeiten. Gritti hat einen entscheidenden Fehler gemacht. Er hat auf der Fahrt einen Unfall provoziert. Die Folge kennst du. Sei’s drum. Mein Helfer ist davongekommen.«
Sie löste die Fesseln, und Mara setzte sich auf. Ihre Beine begannen, schmerzhaft zu kribbeln. Sie rieb ihre Oberschenkel. Sie spürte den Impuls zu fliehen. Einfach durch die Tür, bevor Deborah reagieren konnte – und weg. Aber sie war sicher, sie würde nicht weit kommen. Eine hohe Flügeltür öffnete sich, und ein Mann kam herein, den Mara bereits kannte. Es war die Gestalt aus dem Park in Berlin. Der Mann mit den eng zusammenstehenden Augen.
»Das ist Peter Quint«, sagte Deborah. »Der Helfer, von dem ich dir erzählt habe.«
Er hatte Maras Geigenkasten in der Hand und legte ihn auf das Bett.
Deborah nickte ihm zu, und er verschwand wieder. »Ich sage es dir noch mal, Mara. Lass uns zusammenarbeiten. Wir werden die erfolgreichste Musik produzieren, die es jemals gegeben hat. Ich bin kurz davor, den Schlüssel dafür zu finden. Lass uns Partner sein. Du wirst eine Karriere machen, von der du niemals zu träumen gewagt hast.«
Mara schüttelte den Kopf.
Sie musste hier raus. Sie brauchte Hilfe. Wenn sie nur wüsste, wo sie überhaupt war. Sie musste es herausfinden. Nur wenn sie es wusste, hatte sie den Hauch einer Chance. Der Raum sah aus, als gehöre er zu einer noblen Villa. Nachdenken, zwang sie sich. Und
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