Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Furcht und Protest selbst unter gläubigen Katholiken.
Mit Sachverstand konnte Buoncompagni seinen knobelnden Kalenderreformern kaum beistehen. Er ließ jedoch ein Gebäude errichten, von dem aus die Astronomen ihre Beobachtungen und Studien betreiben sollten. Der mit kostbaren Fresken verzierte »Turm der Winde« hat seine Funktion als Sternwarte inzwischen zwar eingebüßt, ist aber weiterhin Teil der Vatikanstadt.
Ein weit bedeutenderes Denkmal setzte sich Buoncompagni mit einem 42 Meter hohen Kuppelbau, der als zentraler Bestandteil des Petersdoms bis heute Besucher verzückt. Gregor ließ reichlich Marmor, Perlmutt, vergoldete Bronze und edles Gestein in der nach ihm benannten Kapelle verbauen. Um das durch derlei aufwendige Projekte arg strapazierte päpstliche Budget aufzubessern, verschreckte Gottes oberster Bauherr den Adel mit fragwürdigen Forderungen. Gregor machte Schulden geltend, die angeblich in Vergessenheit geraten waren.
Andere Ausgaben ließen sich in der Logik des Heiligen Stuhls indes mühelos rechtfertigen. Neben den »Ungläubigen, Türken und Juden« hatte Gregor »Schismatiker und Ketzer« ausgemacht, die er zu bekämpfen gedachte. In München, Köln, Graz und Luzern gründete er Nuntiaturen, mit deren Hilfe er das Vorrücken der Protestanten im Heiligen Römischen Reich unterbinden wollte.
Kaum ein Flecken Erde in der Alten Welt, der von Gregor nicht mit einem Jesuitenkolleg beschenkt wurde. Das größte Bollwerk gegen die religiöse Verirrung aber sollte eine Institution im Herzen Roms werden: Die Jesuitenschule Collegio Romano, gut drei Jahrzehnte zuvor vom Ordensgründer Ignatius von Loyola geschaffen, wandelte er um in eine päpstliche Universität, die später nach ihm benannte Gregoriana.
Auch sein eigenes Wohl verlor Gregor nicht aus dem Blick. Auf einem der sieben Hügel des alten Rom, dem Quirinal, erhielt der Heilige Vater inmitten der Ruinen des untergegangenen Kaiserreichs eine neue Sommerresidenz. Die konnte er dann allerdings kaum mehr genießen.
»Geistige Verknechtung«
Über 400 Jahre lang hat die katholische Kirche Bücher verboten. Auf dem Index fanden sich auch viele Werke der Weltliteratur.
Von Nils Klawitter
Der Index der verbotenen Bücher? Wenn er einen Gesamteindruck dazu formulieren solle, dann diesen: »Wir begegnen der Menschlichkeit der Kirche auch in diesem ihrem Sektor.« Als er dies vor einigen Jahren schrieb, war Joseph Ratzinger noch nicht Papst, sondern Präfekt der Glaubenskongregation. Er war der Nachfahre der Zensoren und der Hüter ihres Erbes, des sagenumwobenen Archivs der verbotenen Bücher im Palazzo del Sant’Uffizio im Vatikan.
Ratzinger fügte an, Menschlichkeit bedeute sowohl Schwachheit und Versagen als auch das Mühen um Gerechtigkeit. Er sprach sogar von »Fehlentscheidungen«. Den Sinn dieser Institution, die ihre Verbotslisten mit Szenen brennender Bücher verzierte und von Homer bis Heine die halbe Weltliteratur an den Pranger stellte, bezweifelte Ratzinger nicht.
Für Hubert Wolf dagegen ist der Index ein »Katalog geistiger Verknechtung«. Seit der Archivöffnung ist der Kirchenhistoriker und Theologe aus Münster Dauergast in Rom. Mit seinem 15-köpfigen Mitarbeiter-Team und rund fünf Millionen Euro an Forschungsgeldern im Rücken ist er dabei, ein Inventar aller gut 6000 verbotenen Buchtitel zu erstellen, die sich im Index bis zu dessen letzter Ergänzung 1962 angesammelt hatten. Wolf will sich dabei nicht auf eine Opfergeschichte der verfemten Autoren beschränken. Ihn interessieren auch die Täter, die Denunzianten, die Zensoren – und Freisprüche, denn die gab es auch.
Nach seiner Ernennung zum obersten Glaubenswächter 1981 sei ihm klar gewesen, so Ratzinger, das Archiv öffnen zu müssen. Tatsächlich hielt er erst mal die Tür zu: Bereits 1988 nämlich hatte Wolf bei Ratzinger um Einlass gebeten. Für seine Promotion wollte er damals untersuchen, warum der Tübinger Theologe Johannes von Kuhn in die Fänge der Inquisition geraten war. Statt zu helfen, reagierte Ratzinger auf den dreisten Wunsch mit einer Rüge. Doch Wolf kam quasi durch die Hintertür ans Ziel. Er recherchierte den Prozess in anderen Archiven über Personalakten von Inquisitionsmitgliedern. Als die Arbeit fertig war, schickte sie der für ihn zuständige Bischof nach Rom.
Ratzinger war beeindruckt und lenkte ein. An einem Herbsttag des Jahres 1992 betritt Hubert Wolf als einer der ersten Wissenschaftler den alten, quietschenden Fahrstuhl im
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