Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Zunächst ruhte das Papsttum auf dem durchaus vieldeutigen Jesuswort vom »Felsen, auf den ich meine Kirche bauen will«, auf dem Jesusauftrag, »meine Lämmer zu weiden« und die »Brüder im Glauben zu stärken«, und aus diesen Worten lässt sich der römische Zentralismus, wie er sich vor allem im zweiten Jahrtausend dann entwickeln sollte, gewiss nicht ohne weiteres ableiten. Aber mit der Verortung des Petrusamtes in Rom war der Weg, auf dem dies Amt, als es die Katakombe verließ und sich allmählich zur Regierung einer Weltkirche entfaltete, vorgezeichnet, und zwar providentiell, es konnte gar nicht anders kommen. Aus der Lehre von den zwei Naturen Christi, der menschlichen und der göttlichen, folgte auch eine Zwei-Naturen-Auffassung von der Kirche: die göttliche Institution, sündenfrei und ewig, und die sich nicht nur im Papst, sondern in jedem einzelnen Getauften verwirklichende menschliche und mit den menschlichen Gebrechen versehene Kirche, eine Auffassung, die ihren lateinischen juristischen Geist nicht verhehlen kann.
So wurde denn auch der Gipfel der Ausgestaltung des Papsttums, das 1870 auf dem Ersten Vatikanischen Konzil kurz vor Verlust des Kirchenstaates verkündete Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit in Fragen des Glaubens und der Sitten, nicht etwa zur absolutistischen Ermächtigung des Papstamtes, wie es fälschlich gesehen wurde, sondern zu dessen Konstitution: zur expliziten Unterwerfung des Papstes unter die gesamte Tradition der Kirche. Unfehlbar ist nicht eine Person, sondern das große Corpus der zweitausendjährigen Überlieferung in Schrift, Wort und Gebräuchen, dem der jeweilige Papst nur seinen Mund leiht.
MARTIN MOSEBACH
Ist einer der wichtigsten deutschen Erzähler, 2007 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Immer wieder hat er sich engagiert mit dem Katholizismus beschäftigt. Mosebach, Jahrgang 1951, lebt in Frankfurt am Main.
Welche Zukunft hat das Papstamt? Wer wagt hier Prophet zu sein? Die Verheißung Jesu, dass den Fels »die Pforten der Hölle nicht überwältigen« würden, sagt nichts darüber, dass die Kirche das Ende der Zeiten in Pracht und Fülle erreicht – seine übrigen Ausblicke in die Zukunft sagen das Gegenteil. Arnold Gehlen meinte überzeugt sein zu dürfen: »Der christliche Äon ist zu Ende.« Indizien dafür mag es in Europa geben, aber im nicht unbeträchtlichen Rest der Welt? Ferdinand Gregorovius bemerkte am Katafalk Pius’ IX ., der Papst liege da »wie ein gestürztes Idol«, der »letzte Vertreter des politischen Papsttums«, und dann kam Johannes Paul II . und wurde zum politisch einflussreichsten Papst der Kirchengeschichte seit Innozenz III . Um zu realisieren, welches Zukunftspotential auch heute noch im Papsttum enthalten ist, stelle man sich nur vor, die Kardinäle wählten im nächsten Konklave einen Chinesen zum Papst, einen Mann, der 20 Jahre in einem chinesischen Konzentrationslager zugebracht hat, wie damals, als Kaiser Konstantin die verfolgten Bischöfe aus ihren Verstecken zog: Jeder Betrachter unserer Gegenwart mag sich die Folgen einer solchen Wahl selbst ausmalen – das Gesicht der Welt wäre ein anderes.
II. »Sacer« werden die päpstlichen Institutionen in Rom benannt, »heilig« in wörtlicher Übersetzung; ein päpstliches Ministerium etwa heißt »Sacra Congregatio«. Dieser Wortgebrauch ist aber von den römischen Kaisern übernommen, bei denen »sacer« nichts anderes als »kaiserlich« hieß; die Immunität und Unberührbarkeit des höchsten Staatsamtes wurde mit diesem Epitheton behauptet. Von solcher Unberührbarkeit waren die Päpste in den langen Jahrhunderten seit Petrus allerdings weit entfernt. Es gibt wenige Epochen, in denen das Papstamt nicht schärfsten Angriffen ausgesetzt war. In hieratischer Entrücktheit erscheinen viele Päpste wie europäische Pendants zu den priesterlichen chinesischen Kaisern – dies einprägsame Bild verdeckt wie ein Paravent die Kämpfe und bis zum Physischen reichenden Bedrohungen, denen das Papsttum im Lauf seiner Geschichte standzuhalten wusste.
Die ersten Nachfolger Petri starben wie er selbst den Märtyrertod; unter den römischen Kaisern, die Christen waren, gab es Absetzungen und Verbannungen von Päpsten. Im frühen Mittelalter wurde die Leiche eines Papstes vom empörten Volk aus dem Sarg in den Tiber geworfen, der Leiche eines anderen wurde der Prozess gemacht, anschließend wurde sie geschändet. Päpste mussten fliehen, wurden vertrieben, versteckten sich.
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