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Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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Bonifaz VIII . wurde von Gesandten des französischen Königs geohrfeigt, das Papsttum wurde in Avignon unter französische Kuratel gestellt. Gegenpäpste wurden gewählt, ein Papst wurde vom Konzil von Konstanz abgesetzt. Beim »Sacco di Roma« musste der Papst von den Zinnen der Engelsburg zusehen, wie das Heer des Kaisers Rom in der größten Plünderung aller Zeiten verwüstete. Christliche Fürsten sagten sich vom Papsttum los – keineswegs nur protestantische. Pius VI . und Pius VII . wurden aus Rom verschleppt und in französischer Isolationshaft gehalten. Der Kirchenstaat, der älteste Staat Europas, wurde erobert und aufgelöst. Und im 20. Jahrhundert stand ein Panzer mit auf den Petersdom ausgerichteter Kanone vor dem Vatikan, während deutsche Stellen darüber berieten, ob man den Papst nicht besser entführen solle. Noch Paul VI . und Johannes Paul II . waren Opfer von lebensbedrohenden Attentaten.
    Noch gefährlicher waren womöglich die vielen Päpste, die ihrem hohen Amt nicht gewachsen waren: die schlechten Priester und schwachen Regenten, die habsüchtigen Machtpolitiker, die Gefangenen ihrer Familieninteressen, die Bornierten und die für die Notwendigkeiten des jeweiligen historischen Augenblicks Blinden. Wie konnte eine so vielfältig angegriffene Institution 2000 Jahre mit mehreren dramatischen Epochenbrüchen überleben, deren Haupt so oft in schweren Krisen versagte? Ein Atheist würde hier vielleicht eine uralte weltumspannende Verschwörung zur Unterdrückung der Völker am Werke sehen. Ein Soziologe würde möglicherweise auf die Kraft der Institution verweisen, die mehr ist als die Summe ihrer Mitglieder und die kraftvoller ist als ihre einzelnen Repräsentanten. Ein traditioneller Protestant könnte sich an Luthers Verfluchung der päpstlichen Hure Babylon erinnern, die erst beim Jüngsten Gericht besiegt wird. Ein zynischer Agnostiker mag sich auf die Unbelehrbarkeit des dummen Volkes berufen, dass sich gegen alle Vernunft zäh an väterliche Autoritäten klammert. Ein Katholik freilich müsste darauf verweisen, dass der Papst gar nicht das Haupt der Kirche ist, sondern nur dessen Stellvertreter und im Letzten für Erfolg und Glück der Kirche in der Geschichte nicht verantwortlich.
    III. Auch Feinde des Papsttums müssten die Konstruktion dieses Amtes bewundern, die es in der Person des Petrus von Anbeginn einzigartig gegen Krisen gesichert hat. Als Nachfolger und Vertreter Christi, als Fels, auf dem die Kirche erbaut werden soll, vermag auch der Fähigste nur zu scheitern. Für das Amt, »seine Brüder im Glauben zu stärken«, wählte Christus aber gerade denjenigen unter seinen Jüngern, der zwar stets Temperament und Leidenschaft bewiesen hatte, der aber versagt hatte, als es darauf angekommen war, sich zu seinem Meister zu bekennen. »Da fing er an zu fluchen und zu schwören« – der Evangelist, der die Apostasie, den Glaubensverrat des Petrus am Feuer im Hof des Hohenpriesters schildert, lässt an der Schwere dieser Treulosigkeit keinen Zweifel. Was Christus mit der Wahl des Petrus zeigt: Das Stellvertreteramt bedingt keine besonderen Geistesgaben und keine Talente, es fordert keine Charakterfestigkeit und keine erprobte Vollkommenheit – jeder Mann ist für dies Amt gleich geeignet und gleich ungeeignet. Christus wurde Mensch, und deshalb ist jeder Mensch gleichermaßen imstande, Christus darzustellen. Kein Papst kann Christus mehr verraten als Petrus am Feuer des Hohepriesters, kein Papst kann Christus mehr nachfolgen als Petrus, als er sich für Christus kreuzigen ließ.
    In der Wahl des Petrus wurde das für die Kirche entscheidende Prinzip der Trennung von Amt und Person begründet – die Möglichkeit, den inkarnierten, segenspendenden Christus auch in unwürdigen Menschen zu vergegenwärtigen. In der Wahl des Petrus verwirklichte sich weiterhin die katholische Anthropologie, den Menschen als schwach und sündhaft zu begreifen, ihn aber zugleich und dennoch zur höchsten Vollkommenheit berufen zu sehen. Die Wahl des Petrus etablierte eine grundsätzliche Unabhängigkeit der Kirche von ihrem irdischen politischen Erfolg, sie garantierte eine Enttäuschungsresistenz gegenüber dem Maßstab der historischen Wirksamkeit. Das in der Person Petri begründete Amt war für die Weltherrschaft und den Untergrund gleichermaßen disponiert.
    »Alles fließt, lehrt Heraklit / der Felsen Petri, der fließt mit«, reimte Carl Schmitt, um sich über das »aggiornamento« nach dem Zweiten

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