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Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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wurde spätestens in Avignon evident.
    Die Katholiken haben seitdem zwei Vaterländer: ihr eigenes und den – im 20. Jahrhundert auf die genau richtige Größe geschrumpften – römischen Kirchenstaat. Ultramontan oder ultramarin, jenseits von Bergen und Meeren, beim Papst ist ein Teil ihrer Loyalität gebunden – die misstrauische antikatholische Propaganda auch des 20. Jahrhunderts behauptete, es sei der gewichtigere Teil. Aber diese Aufspaltung der Loyalität war eine der wichtigsten Voraussetzungen der europäischen Freiheit. Der Kampf der Monarchen und der Päpste um den Gehorsam und auch das Geld ihrer Untertanen hatte gewiss nicht die Freiheit zum Ziel, aber eben zum Ergebnis. Dass der Papst an die Gewissen der Christen appellierte und sie den Landesherren streitig machte, verhinderte das Entstehen einer »Societas perfecta«, einer sich selbst genügenden, in sich selbst verschlossenen Gesellschaft, die man im 20. Jahrhundert den totalen Staat nennt. Die lückenlose Abhängigkeit der Kirche von einem selbst wohlwollenden Staat ist bedenklich genug, aber dem 20. Jahrhundert erst war es vorbehalten, den verbrecherischen Staat hervorzubringen. Auch jene griechischen, bulgarischen, serbischen und russischen Orthodoxen, die sich den päpstlichen Primat nur als Ehrenprimat ohne Durchgriffsmöglichkeit in die nationalen Kirchen vorstellen wollen, räumen inzwischen ein, dass die Exterritorialität des obersten Bischofs die Kirche vor den unheilvollsten Verwicklungen mit einem schlechten Regime bewahren kann. Gerade auch das Pontifikat Johannes Pauls II., der aus dem Machtbereich der Sowjetunion zur Cathedra Petri erhoben wurde, hat es noch einmal glänzend bestätigt: Wenn es die »Konstantinische Schenkung« auch nicht gab, dann war es mehr als klug, es war weise, sie zu erfinden.
    V. Eines der erstaunlichsten Schauspiele der Weltgeschichte: die Verwandlung einer Weltmonarchie in eine Weltkirche. Jesus Christus war als Sohn der nationalsten aller Nationen und zugleich als Untertan eines Universalität beanspruchenden Reiches geboren. Die Kaiser, unter deren Herrschaft er geboren und gekreuzigt wurde, werden im Neuen Testament genannt. Von einem römischen Soldaten sagte er: »Einen solchen Glauben wie den dieses Mannes habe ich in Israel nicht gefunden.« Ziel der großen Missionsreisen von Petrus und Paulus war Rom. Aber dann verfinsterte sich das Bild Roms in der jungen Christenheit. Die Stadt und das in ihr verkörperte Reich wird zum Inbegriff des Bösen, zum Babylon der Geheimen Offenbarung des Johannes, die Herrschaft Roms wird zum Inbegriff des Unrechts, zum Triumph des »Tiers«, der dem Weltuntergang vorausgeht.
    Nun sind die Jahrhunderte, die der konstantinischen Wende vorausgehen, keineswegs ununterbrochen von Christenverfolgungen bestimmt gewesen; zwischen Nero und Diokletian gab es immer auch längere Perioden einer friedlichen Kohabitation, in denen die Kirche sich ausbreiten und ihre bischöfliche Struktur entwickeln und festigen konnte. Dann kam der unerhörte und unvorhersehbare historische Augenblick, in dem Kaiser Konstantin die christlichen Bischöfe, von denen viele noch die Narben und Verstümmelungen der diokletianischen Folter trugen, in den Rang von Präfekten des Reiches erhob. Und von da an wuchs die Kirche allmählich in die Institutionen des Römischen Reiches hinein, bis sie sie vollständig ausfüllte und gleichsam absorbiert hatte.
    Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hat man sich daran gewöhnt, vom Untergang des Römischen Reiches zu sprechen, das bis dahin von Staatsrechtlern übrigens als durchaus nicht untergegangen, sondern als fortbestehend angesehen wurde. Aber auch wenn man aus heutiger Sicht die staatlichen und nationalen Formen der europäischen Völker nach der Völkerwanderung nicht einfach als Weiterführung des Römischen Reiches ansehen will, so ist sein Fortbestand in Gestalt der römischen Kirche doch offensichtlich. Goethe hat in den »Zahmen Xenien« eine Formel von einzigartiger Präzision für dieses Phänomen gefunden. In einem kleinen Dialog zwischen Jesus und Rom lässt er Jesus die Frage stellen: »Und unser Pakt, er gilt für alle Zeit?« und Rom antworten: »Jetzt heiß ich Rom, dann heiß ich Menschlichkeit.« Aus einer universellen Zivilisationsidee war ein religiöses Humanitätsideal geworden.
    Zur römischen Kirche gehört es, dass sie den einzelnen Schritten, in denen sie sich durch die Geschichte bewegt, Treue bewahrt; sie empfindet die einzelnen

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