Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Subjektivität zu sichern, und er ist Priester, um die Sündenvergebung seines Meisters Gegenwart werden zu lassen.
Satans Rauch und Gottes Wahrheit
Die Ränkespiele seiner Kurie waren ihm genauso zuwider wie das satte Christentum der westlichen Welt. Deshalb predigte Benedikt XVI. die Rückkehr zum Kern seines Glaubens. Doch das Publikum blieb weitgehend verständnislos.
Von Hans Hoyng
Ein Bär hat Benedikt begleitet durch jene drei Ämter, die so bedeutsam und traditionsbeladen waren, dass zu ihren Hoheitszeichen ein eigenes Wappen gehörte – und so ungeliebt, dass er am liebsten vor ihnen davongelaufen wäre.
Als der vatikanische Nuntius ihm 1977 eröffnete, sich auf die Übernahme der Erzdiözese München und Freising vorzubereiten, bat Joseph Ratzinger das erste Mal darum, dass dieser Kelch doch bitte schön an ihm vorübergehen möge. Schon damals wies der kleine, so zerbrechlich wirkende Theologe darauf hin, dass seiner »Gesundheit Grenzen gesetzt« seien. Es half nichts, und im Wappen des neuen Erzbischofs tauchte der Korbiniansbär auf.
Als Johannes Paul II. 1981 seinen Mitstreiter Kardinal Ratzinger zum Präfekten der Glaubenskongregation, nach katholischer Lehre zum Hüter der ewigen Wahrheit, machen wollte, kämpfte der Erwählte lange, bis ihm eine regelmäßige Auszeit vom Amt zugesichert worden war. Auch künftig, willigte der Papst ein, dürfe Professor Ratzinger tun, was er am liebsten tat: mit einem Bleistift in seiner kleinen, sauberen Handschrift theologische Grundlagenwerke schreiben. Im Wappen der Nachfolger der kirchlichen Großinquisitoren: der Korbiniansbär.
Das Petrusamt schließlich, das nach dem Tode seines Vorgängers auf ihn zuzulaufen schien, hat er wie ein »Fallbeil« gefürchtet und nach seiner Wahl die Gläubigen gebeten, für ihn zu beten, »dass ich nicht fliehe aus Angst vor den Wölfen«. Auch als Stellvertreter Christi auf Erden behielt er den Korbiniansbären in seinem Wappen.
Das päpstliche Raubtier geht zurück auf eine Legende um den heiligen Korbinian, den Missionar der Bayern. Auf einer Pilgerreise nach Rom überfiel dieses Urbild eines Problembären den Zug des Heiligen und tötete ein Lasttier. Zur Strafe zwang der Heilige den Unhold, selber an dessen Stelle zu treten, und so taucht der Bär denn, mit Säcken beladen, in allen drei Wappen Benedikts auf – als Lasttier wider Willen. In Rom hat Korbinian seinen Begleiter dann freigelassen.
Solche Freiheit blieb Ratzinger verwehrt. Er selbst, der sich schon immer mit dem Verweis auf sein Wappen als Gottes Packtier bezeichnet hatte, musste weiterhin im Geschirr bleiben. Bei seiner ersten Reise als Papst in seine bayerische Heimat klagte er zu Füßen der Münchner Marienstatue, dass er in Rom leider nicht freigelassen wurde. Allerdings: Der Korbiniansbär erinnere ihn daran, »immer neu meinen Dienst mit Freude und Zuversicht zu tun«. Das sei sein Ja zu Gott: »Ein Lasttier bin ich für Dich geworden, doch gerade so bin ich immer bei Dir.«
Nicht länger. Der Korbiniansbär ist endlich frei, die Last abgefallen. Leise, auf Lateinisch seine Demission ankündigend, zog er ein wenig brummelnd von dannen.
Ist Joseph Ratzinger wieder einmal geflüchtet – so, wie schon 1968 als Tübinger Theologieprofessor vor seinen radikalen Studenten, die ihm das Leben zur Hölle machten? Damals zog er sich in die Ruhe der theologischen Fakultät von Regensburg zurück, heute sucht er sein Refugium ganz tief in den Vatikanischen Gärten, hinter sich nur noch die Leoninische Mauer. Ist er wirklich so mir nichts, dir nichts »vom Kreuz gestiegen«, wie der Krakauer Erzbischof Stanislaw Dziwisz sich im ersten Schock empörte, ein Adlatus jenes polnischen Papstes, der sein Sterben so zelebriert hat, dass nicht mehr erkennbar war, ob er nur Stellvertreter Christi oder dessen Ebenbild sein wollte?
Jahrhundertelang hatte die vatikanische Pracht- und Mythenentfaltung um den Pontifex maximus Pilgern und Gläubigen aus aller Welt eine irdische Ahnung von der Herrlichkeit des künftigen himmlischen Königreichs geben sollen. Nun wurde dieser Illusionsvorhang einfach beiseite gezogen, der Brückenbau zum lieben Gott war offensichtlich auch nur ein Job, und alle Welt sah einen alten kleinen Mann, der nicht mehr damit fertig wurde, die Hebel seines Apparats angemessen zu bedienen: Joseph Ratzinger, der Zauberer von Oz.
Dennoch, für diesen Rücktritt hat er weltweit Respekt erworben, vielen sei, wie etwa dem Hamburger Erzbischof Werner
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