Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
selbst wenn Ratzinger offenbar zu jenen gehörte, die die Dringlichkeit des Problems deutlicher erkannten als seine Kollegen in der Kurie. Aber auch bei ihm bleibt der Eindruck von Hilflosigkeit gegenüber der Dimension der Verbrechen.
So schrieb er beispielsweise 2010 einen »Brief an die Katholiken in Irland«, in dem er die »sündhaften und kriminellen Taten« anprangerte und mit den Iren die »Bestürzung und das Gefühl des Vertrauensbruchs« teilte darüber, wie die örtlichen Bischöfe mit diesen Taten umgegangen seien. Doch auch in Deutschland hatten sich damals die Missbrauchsfälle gehäuft. Dort mussten die Katholiken auf ein ähnlich offenes Wort vergeblich warten.
Und selbst dem reumütigen Brief aus Rom folgten offenbar nur wenige Taten. Ein Jahr später griff in Dublin Enda Kenny, Premierminister des wohl katholischsten Landes Westeuropas, den Vatikan frontal an. Die römische Kirche pflege eine »gestörte, abgehobene, elitäre und narzisstische Kultur«, die sie daran hindere, bei der Aufklärung der Verbrechen wirkungsvoll mitzuarbeiten. Für diese Kultur machte der Regierungschef auch Ratzinger selbst verantwortlich, der als Präfekt der Glaubenskongregation in einer »Instruktion« verfügt hatte, dass »Regeln und Verhaltensweisen einer Gesellschaft oder einer Demokratie nicht einfach auf die Kirche übertragen werden können«. Auch nicht, wenn es um den Schutz von Kindern geht?
Dabei wäre, wenn es nach Ratzinger gegangen wäre, über zwei der prominentesten Fälle von Missbrauchsdelikten rechtzeitig weitaus offener gesprochen worden. So forderte er schon 1995 eine gründliche Untersuchung der Missbrauchsvorwürfe gegen den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër. Doch das wusste der damalige Kardinalstaatssekretär Sodano zu verhindern, Groër durfte – wie üblich in solchen Fällen – aus Altersgründen aus dem Dienst scheiden.
Eine Niederlage gegen Sodano handelte sich der deutsche Sittenwächter auch im Fall des Mexikaners Marcial Maciel Degollado ein. Der genoss als Gründer der ultrakonservativen Kampftruppe der Legionäre Christi das Vertrauen von Johannes Paul II . Maciel hatte sich an mehreren seiner Christkönigskämpfer vergangen und gleich mit mehreren Frauen in Mexiko, Spanien und der Schweiz Kinder gezeugt.
Doch Ratzingers Versuch, die Taten des Kollegen untersuchen zu lassen, wurde von Sodano abgeblockt, bis der Deutsche 2001 die Zuständigkeit für die Verfolgung sexueller Delikte erhielt. Doch erst 2006, als Ratzinger bereits Papst war und Sodano entlassen hatte, wurde auch Maciel in die Wüste geschickt. Er habe ein »gewissenloses Leben ohne echte religiöse Gesinnung« geführt, beschied der Papst. Doch selbst so deutliche Worte nutzten ihm nichts beim Besuch Mexikos im März vergangenen Jahres. Obwohl er auf allen Stationen der Reise von Opfergruppen mit dem Fall Maciel konfrontiert wurde, weigerte sich Benedikt, noch einmal darüber zu sprechen.
Es waren offenbar auch die Erfahrungen dieser Reise, die ihn dazu bewogen haben, den schon länger als Möglichkeit ins Auge gefassten Rücktrittsgedanken nun ernsthafter zu erwägen. Die Reise hatte auf Kuba mit einem Besuch Fidel Castros geendet, mit dem sich der Papst offenbar auch länger über das absehbare Lebensende unterhalten hat.
Und gebrechlich – wie Castro – war auch Benedikt zweifellos: Auf einem Auge fast erblindet, wegen Gelenkarthrose kaum noch fähig zu gehen, musste er wegen seiner Gefäßerkrankungen einen Herzschrittmacher tragen. Nach zwei leichten Schlaganfällen war Benedikt überdies auf ein Blutverdünnungsmittel angewiesen. Dass seine Kräfte für die riesige Aufgabe in der Tat nachließen, wurde von Auftritt zu Auftritt deutlicher.
Was also ist die Bilanz dieses Papstes? Werden die acht Jahre seines Pontifikats wirklich wie »ein Stern am Himmel strahlen«, was ihm ausgerechnet sein alter Rivale Sodano nach der Rücktrittserklärung bescheinigt hat? Wohl eher nicht. Papst Benedikt sei »nicht alles geglückt«, stellte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, erstaunlich offen fest. Der Deutsche auf dem Papstthron habe die vielen Erwartungen »nicht erfüllen können«. Natürlich nicht, aber sollte er das überhaupt?
Was die zumindest in den westlichen Kirchen schwindende Schar seiner Gläubigen vom Vatikan erwartet, ist eine Anpassung an die Moderne. Bei seinem Besuch in Berlin musste sich der Papst beispielsweise vom damaligen Bundespräsidenten
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