Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Erzbischof Carlo Maria Viganò, der als stellvertretender Verwaltungschef des Vatikans auch dubiose Transaktionen der Vatikanbank aufklären sollte, beschwerte sich über seine plötzliche Versetzung in die USA und entdeckte »faule Äpfel« in der Umgebung des Kardinalstaatssekretärs, dem er seinen neuen Job zu verdanken hatte. Auch der Chef der Vatikanbank, Ettore Gotti Tedeschi, ebenfalls mit der Säuberung des in Verruf geratenen »Instituts für die religiösen Werke« beauftragt, wurde auf Veranlassung Bertones gefeuert.
Kardinal Dionigi Tettamanzi fragte beim Heiligen Vater nach, ob der wirklich den Kardinalstaatssekretär angewiesen habe, ihn aus einigen Kontrollfunktionen kirchlicher Gesellschaften zu entfernen. Mit dem Wissen und im Auftrag einiger Kollegen ging schließlich der Kölner Papst-Freund Kardinal Joachim Meisner zum Chef und verlangte die Absetzung Bertones. Benedikt, erzählte Meisner später, habe ihn nur angesehen und gesagt: »Hör mich gut an. Bertone bleibt. Basta, basta, basta.«
Als neuen Wächter der Glaubenskongregation, in das Amt, das er selbst 24 Jahre ausgeübt hat, bestellte er im Juli 2012 keinen vatikanerfahrenen Insider, sondern den emeritierten Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller. Der war zuvor mit der Herausgabe des theologischen Gesamtwerks von Professor Joseph Ratzinger beauftragt.
Natürlich hat sich bei der Wahl Ratzingers niemand einen machtbewussten Kirchenfürsten wie zu Zeiten der Renaissancepäpste gewünscht, aber ein bisschen Führungsqualität hätte schon sein dürfen. »Macht auszuüben«, sagt Kollege Kasper, sei »weder sein Anliegen noch seine Stärke«.
So ging’s dann drunter und drüber am Heiligen Stuhl. Interne Briefe ließen sich in der Presse und in Büchern nachlesen, darunter auch einer, der, auf Deutsch verfasst, bereits vor einem Jahr behauptete, Benedikt XVI . habe nur noch »12 Monate« als Papst vor sich. So, als sei sein Ableben absehbar, bildeten sich in der Kurie prompt Fraktionen, die ihre eigenen Kandidaten für die Nachfolge des amtierenden Papstes puschten. Viele Beobachter waren angewidert von den Ränkespielen verbitterter alter Männer und fühlten sich an das Wort Pauls VI . erinnert, der geklagt hatte, »der Rauch Satans« sei in den Vatikan eingedrungen.
Der wurde auch nicht vertrieben, als der persönliche Butler des Papstes, Paolo Gabriele, verhaftet wurde, weil er Dokumente von dessen Schreibtisch entwendet und an Journalisten weitergereicht hatte. Der Prozess endete mit einem Schuldspruch und anschließender Begnadigung.
Das Intrigenspiel in der Kurie hörte deshalb aber nicht auf. Ein bis heute im Safe des Papstes verschlossener Untersuchungsbericht der »Vatileaks-Affäre«, den drei erfahrene Kardinäle verfasst haben, hat offenbar so viel Schmutz im Vatikan entdeckt, darunter Fälle von Erpressung homosexueller Seilschaften, dass er wesentlich zu Ratzingers Rücktrittsentschluss beigetragen habe, streuen dessen Getreue.
Zur zweiten großen Belastung seines Pontifikats wurden die vielen Fälle sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen durch Kleriker, deren Ahndung durch die Kirche stets zu spät und allenfalls halbherzig erschien. Die kriminellen Delikte »im Schoß der Una Sancta«, wie die »Neue Zürcher Zeitung« mit unbeabsichtigter Präzision schrieb, verfolgen Benedikt seit seiner Zeit als Münchner Erzbischof. Auch in Bayern wurden einschlägige priesterliche Verfehlungen nach langer Tradition diskret vertuscht.
Der Vatikan versuchte das Problem anzugehen, wie er alle Probleme angeht – durch straffe Zentralisierung. Schon 2001 übertrug Johannes Paul II. seinem obersten Glaubenswächter Ratzinger auf dessen Drängen hin die Vollmacht, die Verfehlungen katholischer Priester nach kirchlichem Strafrecht zu verfolgen. Alle Diözesen mussten fortan die peinlichen Übergriffe nach Rom melden.
Über 3000 Fälle standen seither bei der Behörde zur Entscheidung an. Unbeschadet strafrechtlicher Verfolgung in den einzelnen Ländern, hat die Kirche bisher in ungefähr 20 Prozent der Fälle eigene Prozesse gegen ihre sündigen Untergebenen angestrengt. In weiteren 20 Prozent sind die Täter ohne formales Verfahren vom priesterlichen Amt ausgeschlossen worden. In den weitaus meisten Fällen, 60 Prozent, kam es wegen des hohen Alters der Beschuldigten nicht mehr zu einer Verhandlung.
Zu spät, auf jeden Fall erkennbar ohne angemessenen Eifer, behandelte Rom auch weiterhin das kriminelle Treiben der Kleriker,
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