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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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umklammert. Ein fürchterlicher Schlag hatte seinen Hinterkopf zertrümmert, doch auf seinem Gesicht hatte dieser gewaltsame
     Tod keine Spuren hinterlassen. Seine blauen Augen waren geöffnet und blickten klar und friedlich, und auf seinen Lippen schien
     der Hauch eines Lächelns zu liegen.
    Er war den Soldatentod gestorben.
    Taumelnd rannte Johanna zur Tür und stieß sie auf. Das Türblatt schwang schief und knarrend nach außen; die Angeln waren von
     den Äxten der Normannen zerschmettert worden. Sie stürmte ins Freie und blieb keuchend stehen, atmete die duftende, frische
     Luft in tiefen Zügen, füllte ihre Lungen damit und reinigte ihr Innerstes von dem Gestank nach Blut und Tod.
    Die Landschaft war seltsam leblos. Kräuselnd und träge stieg schwarzer Rauch zum Himmel auf – von Schutthaufen, die heute
     morgen noch Häuser, Scheunen und Ställe gewesen waren, die um den Dom herum gestanden hatten.
    Dorstadt lag in Trümmern.
    Nichts rührte sich. Niemand hatte überlebt. Sämtliche Stadtbewohner hatten sich des Feiertages und der Hochzeit wegen im Dom
     versammelt, um die Messe zu hören.
    Johanna blickte nach Osten. Über den Bäumen, die ihr die Sicht versperrten, stiegen dunkle Rauchpilze empor und verdüsterten
     den Himmel.
    Villaris.
    Die Normannen hatten es niedergebrannt.
    Johanna setzte sich auf den Erdboden und barg das Gesicht in den Händen, ohne auf den Schmerz an ihrer aufgeschlitzten Wange
     zu achten.
    Gerold.
    Sie brauchte ihn so sehr. Er mußte sie in den Armen halten, ihr Trost zusprechen, die Welt wieder erkennbar machen. Als Johanna
     mit tränennassen Augen den Horizont absuchte, rechnete sie beinahe damit, Gerold plötzlich erscheinen zu sehen, wie er auf
     Pistis herangeritten kam, wobei sein langes rotes Haar wie ein Banner im Wind flatterte.
    Ich muß auf ihn warten. Falls er heimkommt und mich nicht findet, wird er davon ausgehen, daß die Normannen mich mitgenommen
     haben, so, wie die arme Gisla.
    Aber hier kann ich nicht bleiben.
Ängstlich ließ sie den Blick über die Ruinen und die zerstörte Landschaft schweifen. Von |216| den Normannen war nichts zu sehen. Waren sie verschwunden? Oder würden sie zurückkehren und nach weiteren Möglichkeiten für
     Plünderungen Ausschau halten?
    Und wenn sie mich dann finden?
    Sie hatte erlebt, daß eine schutzlose Frau keine Gnade von ihnen erwarten durfte.
     
    Wo konnte sie sich verstecken? Johanna ging zu den Bäumen hinüber, die den Rand des Waldes markierten, der die Stadt umgab.
     Zuerst ging sie langsam; dann rannte sie. Ihr Atem ging in schluchzenden Stößen; bei jedem Schritt rechnete sie damit, von
     hinten gepackt und grob herumgedreht zu werden, um in die grauenhafte, metallene Maske eines Normannen zu blicken. Als Johanna
     in den Schutz der Bäume gelangte, warf sie sich zu Boden.
    Eine lange Zeit war vergangen, als sie sich schließlich dazu zwang, sich aufzusetzen. Die Dunkelheit rückte näher. Der Wald
     um sie herum war bereits düster und bedrohlich. Sie hörte das Rascheln von Blättern in der Nähe und zuckte vor Angst zusammen.
    Vielleicht waren die Normannen gar nicht weit von hier; möglicherweise hatten sie irgendwo in diesen Wäldern ihr Lager aufgeschlagen.
    Sie mußte versuchen, aus Dorstadt zu entkommen und Gerold irgendwie eine Nachricht zukommen zu lassen, wohin sie sich geflüchtet
     hatte.
    Aber wohin soll ich gehen?
    Mama.
Johanna sehnte sich nach ihrer Mutter; aber nach Hause konnte sie nicht. Ihr Vater hatte ihr nicht verziehen. Falls sie jetzt
     nach Ingelheim zurückkehrte und dem Vater die Nachricht vom Tod seines letzten verbliebenen Sohnes brachte, würde er Rache
     an ihr üben, seine Wut an ihr auslassen. Das stand fest.
    Wenn ich doch bloß kein Mädchen wäre. Wenn ich doch bloß …
    Sie würde sich für den Rest ihres Lebens an diesen Augenblick erinnern und sich fragen, welche Macht des Guten oder Bösen
     ihre Gedanken geleitet hatte. Aber jetzt war nicht die Zeit, darüber nachzugrübeln. Es war eine Chance. Vielleicht gab es
     keine weitere mehr.
    Die blutrote Sonne stand schon tief über dem Horizont. Sie mußte rasch handeln.
    |217| Johanna fand ihren Bruder noch so vor, wie sie ihn verlassen hatte – im Innern des Domes, regungslos im Dämmerlicht. Sein
     Körper war schlaff und widerstandslos, als sie ihn auf die Seite drehte. Die Leichenstarre hatte noch nicht eingesetzt.
    »Verzeih mir«, flüsterte sie, als sie Johannes’ Umhang öffnete.
    Als sie fertig war, bedeckte

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