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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Hexe?«
    »Ganz und gar nicht. Sie steht in dem Ruf tiefer Frömmigkeit. Sie hat sogar einen Kommentar zum Leben der Esther geschrieben.«
    |250| »Was für eine Scheußlichkeit«, sagte Bruder Thomas, einer der anderen Novizen. Thomas – ein unscheinbarer junger Mann mit
     rundem, pausbäckigem Gesicht, Kinngrübchen und schwerlidrigen Augen – nutzte jede Gelegenheit, seine überlegene Frömmigkeit
     und Tugendhaftigkeit hervorzuheben. »Ein schwerer Verstoß gegen die natürliche Ordnung. Was kann eine Frau von solchen Dingen
     schon wissen, wo sie doch von niederen Instinkten geleitet wird? Gewiß wird Gott sie für ihre Überheblichkeit bestrafen.«
    »Das hat er schon«, erwiderte Bruder Rudolph, »denn der Baron braucht einen Erben, doch seine Frau ist unfruchtbar. Erst letzten
     Monat hatte sie wieder eine Totgeburt.«
    Die vornehme Prozession zog bis vor die Klosterkirche. Johanna beobachtete, wie Judith vom Pferd stieg und sich mit ernster
     Würde dem Kircheneingang näherte, eine Kerze in der Hand.
    »Du solltest nicht so starren, Bruder Johannes«, sagte Thomas tadelnd, der sich gern auf Kosten der anderen Novizen bei Bruder
     Rudolph lieb Kind machte. »Sobald eine Frau erscheint, sollte ein guter Mönch die Augen stets voller Keuschheit gesenkt halten.«
    »Da hast du recht, Bruder«, erwiderte Johanna. »Aber eine Frau wie sie habe ich noch nie gesehen. Ein Auge ist blau und das
     andere braun.«
    »Du solltest deine Sünden nicht durch Lügen vertuschen, Bruder Johannes. Beide Augen der Frau sind braun.«
    »Das kannst du doch gar nicht wissen, Bruder«, erwiderte Johanna. »Es sei denn, du hast deine Augen nicht voller Keuschheit
     gesenkt, sondern hingeschaut.«
    Die anderen Novizen brachen in Gelächter aus. Selbst Bruder Rudolph konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
    Thomas starrte Johanna zornig an. Sie hatte ihn zum Narren gemacht, und eine solche Beleidigung vergaß er nicht so schnell.
    Die Aufmerksamkeit der Novizen wurde von Bruder Hildwin abgelenkt, dem Sakristan, der herbeigeeilt kam, um rasch zwischen
     Judith und dem Kircheneingang Aufstellung zu nehmen.
    »Friede sei mit Euch, meine Tochter«, sagte er und benutzte dabei den fränkischen Dialekt.
    »Et cum spiritu tuo«
, gab Judith auf Latein zurück.
    |251| Hildwin wandte sich noch einmal an sie, wobei er besonderen Nachdruck auf den fränkischen Dialekt legte: »Falls Ihr Essen
     und Unterkunft möchtet, sind wir gern bereit, Euch und Eurem Gefolge beides zu gewähren. Kommt mit, ich führe Euch ins Haus
     für die vornehmen Gäste. Dann werde ich den ehrenwerten Abt von Eurer Ankunft in Kenntnis setzen. Gewiß wird er den Wunsch
     haben, Euch persönlich zu begrüßen.«
    »Ihr seid sehr zuvorkommend, Vater, aber ich möchte keine
hospitalitas
«, erwiderte Judith erneut auf Latein. »Ich möchte nur in der Kirche diese Kerze entzünden, für mein totgeborenes Kind. Dann
     mache ich mich wieder auf den Weg.«
    »Ach? Dann ist es als Sakristan meine Pflicht, Tochter, Euch davon in Kenntnis zu setzen, daß Ihr diese Kirche nicht betreten
     dürft, solange Ihr noch …«, er suchte nach einem passenden Wort, »… unrein seid.«
    Judith errötete, verlor aber nicht die Beherrschung. »Ich kenne dieses Gesetz, Vater«, sagte sie mit ruhiger Stimme, »aber
     mein Kind ist die vorgeschriebenen dreiunddreißig Tage tot.«
    »Euer Kind war ein Mädchen, nicht wahr?« fragte Bruder Hildwin mit einem Hauch von Herablassung.
    »Ja.«
    »Dann währt die Zeitspanne der … Unreinheit … doppelt so lange. In diesem Fall dürft Ihr den heiligen Boden dieser Kirche
     also erst sechsundsechzig Tage nach der Geburt des Kindes betreten.«
    »Wo steht das geschrieben? Von einem solchen Gesetz habe ich noch nie gelesen.«
    »Noch
solltet
Ihr jemals davon lesen; denn Ihr seid eine Frau.«
    Johanna fuhr angesichts der Dreistigkeit dieser Beleidigung zusammen. Mit der ganzen Kraft ihrer eigenen leidvollen Erfahrungen
     spürte sie die Schändlichkeit der Demütigung, die Judith hinnehmen mußte. Die Gelehrtheit dieser Frau, ihre Frömmigkeit, ihre
     Klugheit, ihre vornehme Herkunft waren in dieser Männerwelt null und nichtig. Der heruntergekommenste, ungebildetste und schmutzigste
     Bettler durfte diese Kirche betreten, um zu beten; Judith dagegen verwehrte man den Zutritt, weil sie »unrein« war.
    »Kehrt nach Hause zurück, Tochter«, fuhr Bruder Hildwin fort, »und betet in Eurer eigenen Kapelle für das Seelenheil |252| Eures ungetauften

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