Die Päpstin
Kindes. Was wider die natürliche Ordnung ist, verstößt gegen den Willen Gottes. Legt Schreibfeder und Pergament
nieder und nehmt statt dessen Nadel und Zwirn, wie es einer Frau ansteht, und bereut Euren Hochmut. Dann nimmt Gott vielleicht
die Last von Euch, die er Euch aufgebürdet hat.«
Die Röte auf Judiths Wangen breitete sich über ihr ganzes Gesicht aus. »Diese Beleidigung wird Folgen haben. Mein Gatte wird
davon erfahren, das verspreche ich Euch, und es wird ihm ganz und gar nicht gefallen.« Doch Judiths Worte waren nichts als
der Versuch, das Gesicht zu wahren; denn Baron Waifars weltliche Herrschaft besaß hier kein Gewicht, und das wußte Judith.
Hocherhobenen Hauptes drehte sie sich um und ging zu ihrem Pferd.
Johanna trat aus der kleinen Gruppe der Novizen hervor.
»Gebt mir die Kerze, edle Dame«, sagte sie und streckte die Hand aus. »Ich werde sie für Euch anzünden.«
In Judiths wunderschönen dunklen Augen spiegelten sich Erstaunen und Mißtrauen zugleich. War das wieder ein Versuch, sie zu
demütigen?
Für einen langen Augenblick standen die beiden Frauen sich gegenüber und schauten einander an. So unterschiedlich sie im Erscheinungsbild
waren, so ähnlich waren sie sich geistig: Judith, zart und zerbrechlich in ihrer goldenen Tunika, ein Sinnbild weiblicher
Schönheit; Johanna, die größere von beiden, jungenhaft und natürlich in ihrer schlichten Mönchskleidung.
Irgend etwas in den zwingenden graugrünen Augen, die so voller Kraft und Zuversicht blickten, veranlaßte Judith, die schlanke
Kerze wortlos in Johannas ausgestreckte Hand zu legen. Dann stieg sie aufs Pferd und ritt mit ihren Begleitern durch das Tor.
Vor dem Altar zündete Johanna die Kerze an, wie sie es versprochen hatte.
Der Sakristan war außer sich vor Wut. »So eine Frechheit!« tobte er, und an diesem Abend wurde Johanna – zu Bruder Thomas’
unendlicher Freude – ihres Vergehens wegen zum strengen Fasten verurteilt.
Nach diesem Vorfall unternahm Johanna den entschlossenen Versuch, jeden Gedanken an Gerold aus ihrem Innern zu verdrängen. |253| Sie hatte erkannt, daß sie niemals glücklich sein würde, falls sie ihr Leben in der eingeengten Welt der Frauen führen mußte.
Außerdem, so wurde ihr klar, war ihr Verhältnis zu Gerold nicht so beschaffen, wie sie geglaubt hatte. Damals, auf Villaris,
war sie ein unerfahrenes, naives Kind gewesen, und ihre Liebe eine romantische Schwärmerei, aus Einsamkeit und Verlangen geboren.
Und Gerold hatte sie bestimmt nicht geliebt, sonst hätte er sie nie und nimmer allein gelassen.
Gib dich niemals einem Mann hin.
Die warnenden Worte ihrer Mutter, die Johanna im Überschwang ihrer kindischen Vernarrtheit vergessen hatte, kamen ihr wieder
in den Sinn. Jetzt glaubte sie zu wissen, wie glücklich sie sich schätzen konnte, einem Schicksal wie dem ihrer Mutter entronnen
zu sein.
Wieder und wieder redete Johanna sich dies alles ein – so lange, bis sie es glaubte.
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|254| 15.
Die Mönche versammelten sich im Kapitelsaal und setzten sich, ihrer Rangfolge entsprechend – die sich auf die Dauer ihrer
Zugehörigkeit zur Bruderschaft gründete – auf die
gradines
: Reihen steinerner Sitze, welche die Wände des Saales säumten. Die
congregatio
, die Versammlung aller Brüder, war das wichtigste Treffen der Klostergemeinschaft, sah man von den religiösen Zusammenkünften
ab; denn hier wurde über die weltlichen Dinge der Bruderschaft entschieden: über Angelegenheiten der Amtsführung und geldliche
Dinge, und es wurden Ernennungen und Streitfälle besprochen. Bei diesen Kapitelversammlungen erwartete man außerdem von jenen
Brüdern, die auf irgendeine Weise gegen die Ordensregel verstoßen hatten, daß sie ihre Übertretungen beichteten und ihre Strafe
entgegennahmen; andernfalls riskierten sie die Peinlichkeit, durch Ordensbrüder ihrer Übertretungen beschuldigt zu werden.
Johanna besuchte die
congregationes
stets mit einem Gefühl der Beklommenheit. Hatte sie durch ein unbedachtes Wort oder eine Geste ungewollt ihre wahre Identität
verraten? Falls die Mönche entdeckt hatten, daß »Bruder« Johannes Anglicus eine Frau war, würde Johanna es auf einer solchen
Versammlung erfahren.
Die Zusammenkunft begann mit der Lesung eines Kapitels aus der Ordensregel des heiligen Benedikt – der Benediktinerregel –,
dem maßgeblichen Buch der klösterlichen Ordnung auf verwaltungsmäßigem und spirituellem Gebiet; es
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