Die Päpstin
graugrünen Augen lag die stumme Bitte, die
Behandlungsmethode des Hippokrates anwenden zu dürfen.
»Also gut«, gab Bruder Benjamin schließlich nach. »Mach ein Feuer im Herd. Daß wir Bruder Gottschalk mit den heißen |263| Steinen Schaden zufügen, ist wohl nicht zu befürchten. Und vielleicht hilft es ihm ja wirklich. Vielleicht hat dieser heidnische
Arzt recht.« Froh darüber, seinen von der Arthritis geplagten Beinen eine Pause gönnen zu dürfen, setzte er sich auf eine
Bank, während sein energischer junger Lehrling durchs Spital eilte, ein Feuer entfachte und Steine auf einen Rost legte, um
sie in den Flammen zu erhitzen.
Als die Steine heiß genug waren, wickelte Johanna sie in Tücher aus Flanell und legte sie behutsam um den Körper Gottschalks
herum auf das Krankenbett. Zwei der größten Steine bettete sie ihm unter die Füße, so daß sie leicht erhöht lagen, wie Hippokrates
es in seiner Abhandlung empfohlen hatte. Zuletzt legte sie dem Patienten eine dünne Wolldecke über, um die Wärme darunter
zu speichern.
Nach kurzer Zeit begannen Gottschalks Lider zu zucken; er stöhnte und bewegte sich. Bruder Benjamin ging zum Krankenbett.
Der erste Hauch einer gesunden Röte war auf Gottschalks Wangen zurückgekehrt, und sein Atem ging regelmäßiger. Eine rasche
Überprüfung seines Pulsschlags ließ erkennen, daß sein Herz wieder kräftiger und langsamer schlug.
»Gelobet sei Gott der Herr!« Bruder Benjamin atmete erleichtert auf und lächelte Johannes Anglicus über das Bett hinweg an.
Er ist begnadet,
dachte Benjamin mit beinahe väterlichem Stolz, doch auch mit einem Hauch von Neid. Von Anfang an hatte der junge Mann überragende
Geistesgaben gezeigt; deshalb hatte Benjamin darum gebeten, ihn unter seine Fittiche nehmen zu dürfen. Aber er hätte nie damit
gerechnet, daß der Junge es in so kurzer Zeit so weit bringen würde. Bruder Benjamin hatte eine ganze Lebensspanne gebraucht,
um sich sein Wissen und seine Fähigkeiten anzueignen; Johannes Anglicus hatte es in wenigen Jahren geschafft.
»Du hast heilende Hände, Bruder Johannes«, sagte Benjamin voller Wärme. »Heute hast du deinen alten Meister übertroffen. Bald
kann ich dich nichts mehr lehren.«
»So etwas dürft Ihr nicht sagen«, erwiderte Johanna mit einem Anflug von Verärgerung, denn sie war stolz auf Benjamin. »Ich
kann noch sehr viel von Euch lernen, und das wißt Ihr.«
Wieder stöhnte Gottschalk und verzerrte die spröden, rissigen Lippen.
|264| »Der Schmerz kehrt zurück«, sagte Bruder Benjamin. Eilig mischte er einen Trank aus Rotwein und Salbei, in den er ein paar
Tropfen Mohnsaft gab. Eine solche Mixtur zu bereiten erforderte größte Vorsicht und viel Erfahrung; denn was in kleinen Dosen
unerträglichen Schmerz zu lindern vermochte, konnte sich bei zu hoher Dosierung als tödlich erweisen. Es hing allein vom Können
des Arztes ab.
Als er fertig war, reichte Bruder Benjamin Johanna den randvoll gefüllten Becher. Sie ging zum Bett und bot Gottschalk den
Heiltrank dar. Doch er stieß den Becher stolz zur Seite, wenngleich die plötzliche Bewegung ihn vor Schmerz aufschreien ließ.
»Trink das, Bruder«, ermahnte Johanna ihn sanft und hielt ihm den Becher an die Lippen. »Du mußt gesund werden, wenn du jemals
deine Freiheit wiedererlangen möchtest«, fügte sie in verschwörerischem Flüsterton hinzu.
Gottschalk bedachte sie mit einem erstaunten Blick. Dann nahm er ein paar vorsichtige Schlucke, und schließlich trank er hastig
und durstig, so wie ein Mann, der nach einem langen Marsch an einem heißen Sommertag an einen Brunnen gelangt.
Plötzlich erklang eine herrische Stimme hinter ihnen. »Setz deine Hoffnungen nicht auf Kräuter und Tränke.«
Johanna drehte sich um und sah den Abt, gefolgt von einer Gruppe von Brüdern. Sie stellte den Becher ab und erhob sich.
»Gott der Herr gibt den Menschen das Leben, und er allein schenkt ihnen Gesundheit. Nur Gebete können den Sünder genesen lassen.«
Abt Rabanus Maurus gab den Brüdern ein Zeichen, und schweigend nahmen sie um das Bett herum Aufstellung.
»Sprecht mir nach«, sagte der Abt und betete für den Kranken. Die Brüder fielen ein; nur Gottschalk schwieg. Bewegungslos
lag er da, die Augen wie im Schlaf geschlossen. Doch an seinem Atmen konnte Johanna erkennen, daß er wach war.
Sein Körper wird wieder gesund,
dachte sie,
aber seine verwundete Seele nicht.
Johanna fühlte mit dem jungen Mann. Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher