Die Päpstin
besorgen, die häufig unter Kopfschmerz leidet.
Er ist ein ehrlicher Mann. Du kannst ihm die Bittschrift anvertrauen. Er wird sie sicher nach Mainz bringen.«
Mißtrauisch fragte Gottschalk: »Warum tust du das alles für mich?«
Johanna zuckte die Achseln. »Jeder Mann sollte die Freiheit |267| haben, so zu leben, wie er leben möchte.« Und im stillen fügte sie hinzu:
Und eigentlich auch jede Frau.
Alles lief wie geplant. Als Burchard zum Spital kam, um die Medizin für seine Frau zu holen, gab Johanna ihm die Bittschrift,
die der Händler sicher in seiner Satteltasche verstaute.
Einige Wochen später bekam das Kloster unerwarteten Besuch von Otgar, dem Bischof von Trier. Nach der förmlichen Begrüßung
im Eingangshof verlangte – und erhielt – der Bischof eine sofortige Audienz bei Abt Rabanus.
Die Nachricht, die der Bischof mitbrachte, war erstaunlich: Gottschalk war von seinem Eid entbunden. Es stand ihm frei, das
Kloster von Fulda zu verlassen, wann immer er den Wunsch dazu hatte.
Gottschalk beschloß, das Kloster auf der Stelle zu verlassen. Er wollte keinen Augenblick länger als nötig unter Abt Rabanus’
düsteren und vorwurfsvollen Blicken verbringen. Irgendwelche Habseligkeiten brauchte Gottschalk nicht zu packen: Obwohl er
fast sein ganzes bisheriges Leben im Kloster verbracht hatte, gab es nichts, das er hätte mitnehmen können; ein Mönch durfte
keinen persönlichen Besitz haben. Bruder Anselm, der Zellerar, packte Gottschalk einen Beutel mit Lebensmittelvorräten, so
daß er die ersten Tage auf der Straße nicht zu hungern brauchte; aber das war auch schon alles.
»Wohin gehst du?« fragte Johanna.
»Nach Speyer«, erwiderte er.»Dort wohnt eine verheiratete Schwester von mir; ich kann eine Zeitlang bei ihr bleiben. Und dann
… ich weiß es nicht.«
Gottschalk hatte so lange und mit so wenig Hoffnung um seine Freiheit gekämpft, daß er gar nicht darüber nachgedacht hatte,
was er damit anfangen sollte, falls er sie wirklich erlangte. Er hatte nie etwas anderes kennengelernt als das klösterliche
Leben; dessen Sicherheit und geordneter Ablauf waren zu einem Teil seiner selbst geworden und ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
Johanna konnte die Angst und Unsicherheit in Gottschalks Augen erkennen, sosehr er sich auch dagegen wehrte.
Es fand keine Versammlung der Bruderschaft statt, um sich förmlich von Gottschalk zu verabschieden; Abt Rabanus hatte es verboten.
Nur Johanna und einige andere Brüder, die um diese Stunde im Eingangshof ihr
opus manuum
verrichteten, |268| die Handarbeit, sahen Gottschalk durch das Tor gehen, endlich als freier Mann. Johanna beobachtete, wie er die Straße hinunterging
und wie seine hochgewachsene, schlanke Gestalt kleiner und kleiner wurde, bis sie schließlich am Horizont verschwand.
Ob er glücklich wurde? Johanna hoffte es. Doch irgendwie machte er den Eindruck eines Mannes, dem es bestimmt war, stets das
zu begehren, was er nicht bekommen konnte, und der immer den steinigsten Weg für sich wählte. Johanna beschloß, für Gottschalk
zu beten – wie auch für alle anderen traurigen und verängstigten Seelen, die allein über die Straßen ziehen mußten.
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|269| 16.
An Allerseelen versammelten die Mönche sich auf dem Eingangshof des Klosters, um das
separatio leprosorum
zu begehen, das feierliche Ritual, mit dem die Leprakranken aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden. In diesem Jahr waren
in der Gegend um Fulda sieben solcher Unglücklicher entdeckt worden, vier Männer und drei Frauen, darunter ein Junge von nicht
mehr als vierzehn Jahren, dem die schrecklichen Spuren dieser Krankheit noch kaum anzusehen waren; ein anderes Opfer war eine
alte Frau, die bereits sechzig oder mehr Winter gesehen hatte und deren lidlose Augen, der lippenlose Mund und die fehlenden
Finger das fortgeschrittene Stadium der Krankheit erkennen ließen. Alle sieben Opfer waren in schwarze Leichentücher gehüllt
und auf den Eingangshof des Klosters getrieben worden, auf dem sie sich nun in einer elenden, mitleiderregenden kleinen Gruppe
zusammendrängten.
Die Bruderschaft näherte sich den Kranken in einer feierlichen Prozession. Zuerst kam Abt Rabanus Maurus, stolz, in kerzengerader
Haltung und sich der Würde seines Amtes bewußt; zu seiner Rechten ging Prior Joseph, zu seiner Linken Bischof Otgar. Ihnen
folgten die Mönche, ihrer Rangordnung entsprechend, sowie die Novizen. Zwei Laienbrüder bildeten den
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