Die Päpstin
drei!«
Johanna zog, während Bruder Benjamin drückte. Ein Schwall frischen Bluts strömte über den Rücken des Verletzten; dann glitt
der Rippenknochen unter die klaffende Wunde. Es war geschafft.
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»Deo, juva me!«
brüllte Gottschalk voller Qual und hob flehend den Kopf; dann umfing ihn gnädige Bewußtlosigkeit.
Mit Schwämmen saugten Johanna und Benjamin das Blut auf und säuberten Gottschalks Wunden.
»Also dann, Bruder Johannes. Was müssen wir als nächstes tun?« fragte Benjamin prüfend, nachdem sie Gottschalks Wunden gereinigt
hatten.
Johanna antwortete nach kurzem Überlegen: »Eine Salbe auftragen … aus Beifuß, würde ich sagen, mit ein wenig Flohkraut vermischt.
Dann sollten wir mehrere Verbände mit Essig tränken und sie ihm als Heilpflaster auflegen.«
»Sehr gut.« Benjamin war zufrieden. »Aber wir sollten noch ein wenig Liebstöckel hinzugeben, zum Schutz gegen Entzündungen.«
Sie arbeiteten Seite an Seite, als sie nun das Heilmittel bereiteten. Der durchdringende, würzige Geruch nach frisch zerstampften
Kräutern breitete sich um sie aus. Als die Verbände getränkt und fertig zum Auflegen waren, reichte Johanna sie Bruder Benjamin.
»Leg du sie ihm auf«, sagte der Arzt, trat zurück und beobachtete zufrieden, wie sein junger Lehrling die häßlichen Lappen
zerfetzter Haut und die klaffenden Wunden fest zusammenpreßte, um anschließend geschickt die Verbände aufzulegen.
Schließlich trat Benjamin vor, um sich den Verletzten anzuschauen. Die Verbände saßen perfekt; Benjamin mußte zugeben, daß
nicht einmal er es so gut gekonnt hätte. Doch ihm machte die Veränderung Sorgen, die mit Gottschalk vorgegangen war: Seine
Haut – feucht und kalt bei der Berührung – war so weiß geworden wie frisch geschorene Wolle. Sein Atem ging flach, und obwohl
sein Herz gefährlich schnell schlug, war der Puls kaum zu spüren.
Er stirbt
, erkannte Bruder Benjamin voller Mitleid, und sofort durchzuckte ihn der Gedanke:
Der Vater Abt wird toben vor Zorn!
Rabanus Maurus hatte es mit der Bestrafung zu weit getrieben – und das wußte niemand besser als er selbst. Gottschalks Tod
würde für Rabanus eine schlimme Schande bedeuten. Falls König Ludwig von diesem Vorfall hörte … nicht einmal Äbte waren vor
Tadel, ja, sogar Entlassung geschützt.
Bruder Benjamin überlegte fieberhaft, was er für Gottschalk noch tun konnte. In diesem Fall waren alle seine Arzneimittel |262| nutzlos; denn solange der Patient ohne Bewußtsein war, konnte er kein Medikament zu sich nehmen, nicht einmal einen Schluck
Wasser, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.
Johannes Anglicus’ Stimme riß Bruder Benjamin aus seinen Gedanken: »Soll ich im Herd ein Feuer anzünden und ein paar Steine
heiß machen?«
Bruder Benjamin schaute seinen Lehrling verdutzt an. Im Winter, wenn die durchdringende Kälte zusätzlich an den Kräften der
Kranken zehrte, war es eine altbewährte Heilmethode, Patienten mit heißen Steinen zu behandeln, die in Flanell gewickelt waren.
Aber jetzt, an diesen letzten heißen Herbsttagen …?
»Die Abhandlung des Hippokrates«, erinnerte Johanna ihren Lehrer. »Über die Behandlung von Wunden.« Sie hatte Benjamin ihre
Übersetzung der brillanten Schrift des griechischen Arztes erst letzten Monat gegeben.
Bruder Benjamin furchte die Stirn. Ihm machte seine Arbeit Freude, und er war ein guter Arzt, berücksichtigte man das beschränkte
medizinische Wissen seiner Zeit. Doch er zählte nicht zu den Menschen, die sich gern auf Neuland vorwagten; Benjamin fühlte
sich wohler, wenn er an althergebrachten, bekannten und bewährten Heilmethoden festhalten konnte, statt sich mit neuen Ideen
und Theorien auseinanderzusetzen.
»Der Schock, den Bruder Gottschalk durch die gewaltsame Verletzung erlitten hat …«, fuhr Johanna fort, und in ihrer Stimme
schwang ein klein wenig Ungeduld mit. »Laut Hippokrates kann dieser Schock einen Menschen töten, weil er einen alles durchdringenden
Kälteschauer hervorruft, der sich aus dem Innern des Körpers ausbreitet …«
Bruder Benjamin kratzte sich nachdenklich das Kinn. »Das stimmt. Ich habe es selbst erlebt, wie Männer nach Verletzungen ganz
plötzlich gestorben sind, obwohl die Wunden als solche gar nicht tödlich gewesen sein konnten«, sagte er bedächtig. »
Deus vult
, sagte ich mir immer. Der Wille Gottes …«
Das intelligente junge Gesicht Johannes Anglicus’ strahlte vor Erwartung; in den
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