Die Päpstin
Namen Gottes getan werden kann, um ihre Krankheit zu heilen.«
»Danke, Vater«, sagte Johanna.
Rabanus streckte den rechten Arm zu Madalgis, Johanna und Benjamin aus und machte das Kreuzzeichen. »Möge Gott euch in seiner
unendlichen Güte vor allem Übel bewahren.«
Das Maultier, das die Taschen mit den Arzneimitteln und der ärztlichen Ausrüstung trug, trottete bedächtig seines Weges, gleichgültig
ob der verblassenden Sonne. Bis zu Madalgis’ Hütte waren es noch gut acht Kilometer. Bei diesem schleppenden Tempo konnten
die drei einsamen Pilger von Glück sagen, wenn sie ihr Ziel vor Anbruch der Dunkelheit erreichten. Ungeduldig trieb Johanna
das Maultier an. Um ihr zu Willen zu sein, machte das Tier fünf, sechs rasche, aufeinanderfolgende |274| Schritte, um dann wieder in seinen alten, gemächlichen Trott zurückzufallen.
Während sie dahinzogen, plapperte Madalgis mit jener nervösen Energie drauflos, wie sie häufig schrecklicher Angst entspringt.
Johanna und Benjamin erfuhren ihre ganze traurige Geschichte. Trotz ihres abgerissenen Äußeren war Madalgis keine
colona,
sondern eine freie Frau, deren Ehemann Freibauer auf einem großen
mansus
gewesen war, der zwölf Hektar Ackerland umfaßt hatte. Nach seinem Tod hatte Madalgis versucht, ihre Familie durchzubringen,
indem sie das Land ganz allein bewirtschaftete, doch dieses heldenhafte Unterfangen wurde von ihrem Nachbarn, dem Grundherren
Rathold, abrupt beendet, denn Rathold hatte es auf die Hufe abgesehen, die fruchtbaren Boden besaß und gute Gewinne abwarf.
So hatte Rathold dem Abt Rabanus von Madalgis’ Bemühungen berichtet, worauf der Abt ihr unter Androhung der Exkommunikation
untersagte, jemals wieder mit Pflug oder Hacke den Acker zu bearbeiten. »Eine Frau handelt unchristlich, wenn sie die Arbeit
eines Mannes tut«, hatte er zu Madalgis gesagt.
Angesichts des drohenden Hungertods war Madalgis gezwungen gewesen, Haus und Hufe für einen Bruchteil ihres wirklichen Wertes
an den Grundherren Rathold zu verkaufen; als Kaufpreis erhielt sie nur ein paar
solidi,
eine winzige Hütte sowie ein kleines Stück Wiese für ihre Kühe in einem Weiler unweit ihres einstigen
mansus.
Madalgis hatte sich auf die Käseherstellung verlegt und die Früchte ihrer Arbeit gegen Lebensmittel und andere Gegenstände
des täglichen Bedarfs eingetauscht, doch es war zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben für sie und ihre Kinder.
Kaum erblickte sie ihre Hütte, stieß Madalgis einen glücklichen Schrei aus, rannte voraus und verschwand im Innern der jämmerlichen
Behausung. Johanna und Bruder Benjamin folgten Madalgis einige Minuten später in die Hütte und entdeckten die Frau inmitten
einer ausgelassenen Schar kleiner Jungen und Mädchen; die Kinder kreischten und lachten glücklich, warfen sich der Mutter
an den Hals und plapperten alle zugleich drauflos. Doch als die beiden Mönche die Hütte betraten, schrien die Kleinen erschreckt
auf und drängten sich schützend um Madalgis. Offensichtlich hatten sie Angst, die Mutter könnte ihnen wieder fortgenommen
werden. Doch Madalgis |275| sprach zu den Kindern; kurz darauf kehrte das Lächeln auf die kleinen Gesichter zurück, und mit einer Mischung aus Neugier
und Mißtrauen musterten sie die beiden Fremden.
Dann kam eine Frau in die Hütte, in jedem Arm einen Säugling. Respektvoll verbeugte sie sich vor den beiden Mönchen; dann
eilte sie an ihnen vorbei und reichte Madalgis eins der Kleinkinder. Madalgis drückte es glückstrahlend an sich und gab ihm
die Brust. Das Kleine saugte hungrig. Die Frau, die in die Hütte gekommen war, schien bereits älter zu sein – fünfzig oder
mehr Jahre –, doch Johanna erkannte, daß ihr Gesicht von Kummer ausgezehrt und voller Sorgenfalten war, so daß die Frau viel
älter aussah, als sie war. Johanna schätzte sie auf Ende zwanzig, Anfang dreißig.
Sie hat Madalgis’ Kleines und ihren eigenen Säugling gestillt,
dachte sie und betrachtete voller Mitgefühl die ungesunde Gesichtsfarbe der Frau, die flachen Brüste und den schlaffen Unterleib,
die sich unter der schlichten Kleidung abzeichneten. Johanna hatte diese Symptome schon des öfteren gesehen: Die Frauen brachten
ihr erstes Kind nicht selten mit dreizehn, vierzehn Jahren zur Welt, um dann in einem Zustand beinahe permanenter Schwangerschaft
zu verbleiben und mit steter Regelmäßigkeit ein Kind nach dem anderen in eine triste Welt zu setzen. Es war durchaus
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