Die Päpstin
nicht
ungewöhnlich, daß eine Frau im Laufe ihres Lebens zwanzigmal und öfter schwanger war, wenngleich einige dieser Schwangerschaften
aufgrund von Fehl- und Frühgeburten keine neun Monate währten. Wenn eine Frau in die Wechseljahre kam – falls ihr ein so langes
Leben beschieden war; denn jede Geburt war für Mutter und Kind mit einem hohen Risiko verbunden – waren ihr Körper und ihr
Geist erschöpft und ausgelaugt. Johanna nahm sich vor, für die unbekannte Frau ein Tonikum aus zerstampfter Eichenrinde und
Salbei zu bereiten, um ihrem Körper zusätzliche Energie für den bevorstehenden Winter zuzuführen.
Madalgis sprach derweil zu ihrem ältesten Kind, einem hochaufgeschossenen Jungen von elf oder zwölf Jahren. Er lief zur Tür
hinaus und kam Augenblicke später mit einem Laib Brot und einem Stück blaugeädertem Käse zurück in die Hütte. Er bot Johanna
und Bruder Benjamin beides an. Der Arzt nahm ein Stück Brot, wies den offensichtlich schimmeligen Käse jedoch zurück. Auch
Johanna war der Käse auf den ersten Blick zuwider, doch um dem Jungen eine Freude zu machen, brach sie |276| ein winziges Stück davon ab und steckte es sich in den Mund. Zu ihrem Erstaunen schmeckte der Käse wundervoll – scharf, kräftig
und erstaunlich würzig; viel besser als jeder Käse, der im Kloster zu Fulda auf die Tische im Refektorium kam.
»Hmmm! Das schmeckt ja herrlich!«
Der Junge grinste.
»Wie heißt du?« fragte Johanna ihn.
»Arn«, antwortete er schüchtern.
Beim Essen ließ Johanna den Blick in die Runde schweifen. Madalgis’ Zuhause war eine kleine, fensterlose Kate, primitiv aus
überkreuzten, rissigen Latten errichtet. Obwohl Wände und Decke mit Lehm verfugt und das ganze mit Stroh und Blättern zugestopft
war, wehte der kalte Abendwind durch die Ritzen und wirbelte den Rauch, der vom Herdfeuer aufstieg, zu einer erstickenden
Wolke auf. In einer Ecke befand sich ein winziger Pferch für Tiere; in spätestens einem Monat würde Madalgis ihre Kühe in
die Hütte holen, wo sie den ganzen Winter verbrachten, so, wie es bei den Armen üblich war. Denn auf diese Weise schützten
sie nicht nur ihr kostbares Vieh, sondern bekamen eine zusätzliche Heizquelle. Doch leider brachten die Tiere nicht nur ihre
Körperwärme mit in die Behausungen, sondern auch Ungeziefer: Zecken, Flöhe, Läuse und eine ganze Schar anderer Schädlinge,
die sich im Schilf des Fußbodenbelags und in den strohgedeckten Schlafpritschen einnisteten. Die meisten Armen waren am ganzen
Körper von schmerzhaften Insektenstichen bedeckt – eine Tatsache, die in vielen fränkischen Kirchen ihren Niederschlag fand,
deren Wände von Darstellungen des Hiob geziert wurden: Sein Körper war von Geschwüren bedeckt, und er kratzte sich mit einem
Messer die wunden und entzündeten Stellen.
Einige Leute – Johanna vermutete, daß auch Madalgis dazu zählte – entwickelten mit der Zeit ungewöhnlich heftige Reaktionen
auf Insektenstiche. Ihre Haut schwoll an, rötete sich und entzündete sich schließlich durch die rauhe, schmutzige Wollkleidung,
bis es so schlimm wurde, daß die Schwellungen das Aussehen lepröser Geschwüre annahmen.
Doch die Dunkelheit brach herein, und Johanna mußte mit einer genauen Diagnose bis zum nächsten Tag warten.
Morgen,
sagte sie sich, als sie sich für die Nacht auf ein Strohlager bettete.
Morgen fangen wir an.
|277| Am nächsten Tag säuberten sie die kleine Hütte von oben bis unten. Das alte Reisig, mit dem der Fußboden bedeckt war, wurde
hinausgeworfen; dann wurde der Boden vollkommen glatt und sauber gefegt. Die alten Schlafpritschen landeten im Feuer; aus
frischem Stroh wurden neue angefertigt. Selbst das Strohdach der Hütte, das mit den Jahren zu faulen begonnen hatte und durchhing,
wurde abgerissen und durch ein neues Dach ersetzt.
Als größtes Problem erwies es sich, Madalgis zum Baden zu überreden. Wie jeder andere, wusch sie sich regelmäßig die Hände,
die Füße und das Gesicht, doch der Gedanke, den ganzen Körper zu reinigen, kam ihr seltsam, ja gefährlich vor.
»Ich werde mir eine Erkältung holen und sterben, wenn ich bade!« jammerte sie.
»Du wirst sterben, wenn du nicht badest«, erwiderte Johanna ungerührt.
Der kühlen und kurzen Tage des Heuvimanoth wegen war das Wasser in dem kleinen Bach, der hinter der armseligen Hütte plätscherte,
für ein Bad zu kalt geworden. Benjamin und die beiden Frauen mußten das Wasser
Weitere Kostenlose Bücher