Die Päpstin
also eimerweise in die Hütte schaffen, über
dem Herd erhitzen und in den Waschzuber gießen. Während die beiden Mönche Madalgis den Rücken zukehrten, stieg sie voller
ängstlicher Beklommenheit in den Zuber; dann wusch sie ihren Körper mit Seife und Wasser.
Nach dem Bad zog Madalgis eine saubere neue Tunika an, die Johanna sich in weiser Voraussicht bei Bruder Konrad, dem Zellerar,
besorgt hatte. Aus dickem, schwerem Leinen gefertigt, war die Tunika warm genug, um Madalgis als Winterkleidung zu dienen;
außerdem war sie viel weicher als die kratzige rauhe Wolle.
Madalgis’ Zustand besserte sich rasch, nachdem sie gebadet hatte und die Hütte vom Ungeziefer befreit und gereinigt war, so
daß sie vor Sauberkeit glänzte. Die Entzündungen verschwanden, und die Geschwüre heilten ab. Madalgis war auf dem Weg der
Genesung.
Bruder Benjamin war begeistert.»Du hast recht gehabt!« sagte er zu Johanna. »Es ist kein Aussatz! Wir müssen zurück ins Kloster
und es den anderen beweisen!«
»Zeigt mir noch eins«, bettelte Arn.
Johanna lächelte ihn an. In den letzten Tagen hatte sie dem |278| Jungen die klassische Methode des Fingerrechnens beigebracht, die auf den großen Gelehrten Beda Venerabilis zurückging, und
Arn hatte sich als gelehriger und fleißiger Schüler erwiesen.
»Zuerst mußt du mir zeigen, daß du noch weißt, was du bis jetzt gelernt hast. Was bedeutet das hier?« Sie hielt den kleinen
Finger, den Ringfinger und den Mittelfinger ihrer Linken in die Höhe.
»Das sind Einheiten für die Einer«, sagte der Junge, ohne zu zögern. »Und das …«, er zeigte auf Johannas linken Daumen und
Zeigefinger,»… sind Einheiten für die Zehner.«
»Gut. Und an der rechten Hand?«
»Diese hier bedeuten Hunderter, und die hier Tausender.« Er hob die entsprechenden Finger, um seine Worte zu veranschaulichen.
»Also gut. Welche Zahlen möchtest du malnehmen?«
»Zwölf, denn so viele Jahre bin ich alt. Und …«, er dachte einen Moment nach, »… dreihundertfünfundsechzig, denn so viele
Tage hat das Jahr!« sagte er mit sichtlichem Stolz, zeigen zu können, was er außer Rechnen sonst noch gelernt hatte.
»Also zwölf mal dreihundertfünfundsechzig. Einen Augenblick …«, Johannas Finger bewegten sich rasch, als sie das Ergebnis
ausrechnete. »Das sind viertausenddreihundertundachtzig.«
Arn klatschte vor Freude in die Hände.
»Jetzt versuch du es«, sagte Johanna und führte die Berechnung noch einmal durch, langsamer diesmal, so daß der Junge die
Möglichkeit hatte, jede ihrer Bewegungen nachzuahmen. Dann ließ sie ihn die Rechnung allein durchführen. »Sehr gut!« lobte
sie ihn, als er es ohne Fehler geschafft hatte.
Arn grinste, erfreut über das Lob und begeistert von dem Spiel. Dann wurde sein rundes kleines Gesicht ernst. »Wie weit könnt
Ihr damit kommen?« fragte er. »Geht das mit einem Hunderter und einem Tausender? Und einem Tausender und … noch einem Tausender?«
Johanna nickte. »Du mußt nur deine Brust berühren. So. Siehst du? Das sind jedesmal zehn mal tausend. Und wenn du dich am
Oberschenkel berührst, sind es hundert mal tausend. Also …«, wieder bewegten sich ihre Finger, »tausend und einhundert mal
zweitausend und dreihundert sind … zwei Millionen fünfhundert und dreißigtausend!«
|279| Vor Staunen riß Arn die Augen auf. Die Zahlen waren so gewaltig, daß er sie gar nicht begreifen konnte.
»Zeigt mir noch eine Aufgabe!« bettelte er. Johanna lachte. Es machte ihr Freude, den Jungen zu unterrichten, denn sein Wissensdurst
war unstillbar. Arn erinnerte Johanna an sich selbst, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. Was für eine Schande, dachte
sie, daß dieser helle Funke der Intelligenz dazu verdammt ist, in der Finsternis der Unwissenheit zu erlöschen.
»Falls ich es einrichten kann«, sagte sie, »würdest du dann gern zur Klosterschule gehen? Du könntest dort weiterlernen –
nicht bloß rechnen, sondern auch lesen und schreiben.«
»Lesen und schreiben?« fragte Arn fassungslos zurück. Diese außergewöhnlichen Fertigkeiten waren üblicherweise Priestern und
mächtigen Fürsten vorbehalten und nicht für bettelarme kleine Jungen wie ihn gedacht. Besorgt fragte er: »Müßte ich dann Mönch
werden?«
Johanna hätte am liebsten laut aufgelacht. Arn war in dem Alter, da Jungen ein starkes Interesse am anderen Geschlecht entwickelten;
der Gedanke, ein Leben in Keuschheit führen zu müssen, war ihm
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