Die Päpstin
symbolisieren. Jedes der leicht
erhöht angelegten Anzuchtbeete war genau sieben Fuß breit; auch dies war wichtig, denn sieben stand für die Zahl der Gaben
des Heiligen Geistes und versinnbildlichte die Ganzheit aller erschaffenen Dinge.
Im hinteren Teil des Gartens, zwischen den Beeten mit Gartenkresse und Kerbel, stand Johannas Vater. Er hatte ihnen den Rücken
zugewandt. Sein kleiner, untersetzter Körper, der dicke Hals und die straffe Haltung kamen Johanna auf Anhieb vertraut vor.
So tief es ging, zog sie den Kopf in die große Kapuze ihres Mönchsgewandes, so daß der schwere Stoff ihr weit in die Stirn
hing und ihr Haar sowie einen Gutteil des Gesichts vollständig verdeckte.
Als er die Schritte hörte, drehte der Dorfpriester sich um. Sein dunkles Haar und die buschigen Brauen, die bei Johanna einst
ein solches Entsetzen hervorgerufen hatten, waren vollständig grau geworden.
»Deus tecum.«
Bruder Samuel gab Johanna einen aufmunternden Klaps auf den Rücken. »Gott sei mit dir.« Dann ließ er Vater und Tochter allein.
Zögernd, mit stockenden Schritten, kam Johannas Vater durch den Garten. Er war kleiner, als sie ihn in Erinnerung hatte. Erstaunt
sah sie, daß er einen Gehstock benutzte. Als er näher kam, wandte Johanna sich ab und bedeutete ihm schweigend, ihr zu folgen.
Sie führte ihn aus dem grellen, unbarmherzigen Licht der Mittagssonne in die fensterlose Kapelle, die an den Garten grenzte.
Im Innern dieses kleinen Gotteshauses würde das Halbdunkel Johanna einen besseren Schutz gewähren. |288| Nachdem sie die Kapelle betreten hatte, wartete sie, bis ihr Vater sich auf eine der Bankreihen gesetzt hatte. Dann nahm sie
selbst Platz und setzte sich an das andere Ende der Bankreihe, wobei sie ständig den Kopf gesenkt hielt, so daß der Vater
ihr Profil nicht erkennen konnte.
»Pater noster qui es in coelis, sanctificetur nomen tuum …«
Ihr Vater begann das Vaterunser. Seine gefalteten Hände zitterten; offenbar war eine Schüttellähmung der Grund dafür. Seine
Stimme war kraftlos geworden und schwankte leicht; es war die Stimme eines alten Mannes. Johanna fiel in sein Gebet ein, und
ihrer beiden Worte hallten dumpf in der kühlen, winzigen Kapelle mit ihren steinernen Wänden.
Als sie das Gebet beendet hatten, saßen beide eine Zeitlang schweigend da.
»Mein Sohn«, sagte der Dorfpriester schließlich, »du hast dich gut gemacht. Der Bruder Hospitarius hat mir gesagt, daß du
zum Priester ernannt werden sollst. Du hast unserer Familie Ehre gebracht – so, wie ich es einst von deinem Bruder erhofft
hatte.«
Matthias.
Johanna betastete das hölzerne Medaillon der heiligen Katharina, das Matthias ihr vor so langer Zeit geschenkt hatte und das
sie ständig um den Hals trug.
Ihr Vater bemerkte die Handbewegung.»Meine Augen sind schwach geworden, Sohn. Was ist das für ein Medaillon? Ist es das deiner
Schwester Johanna?«
Johanna ließ das Medaillon los und verfluchte im stillen ihre Unachtsamkeit; sie hätte daran denken müssen, das Medaillon
versteckt zu halten.
»Ich habe es als Erinnerungsstück an mich genommen, als … hinterher.« Johanna brachte es nicht fertig, über die Greuel zu
sprechen, die sie bei dem Angriff der Normannen erlebt hatte.
»Ist deine Schwester gestorben, ohne daß sie … geschändet wurde?«
Johanna hatte plötzlich das Bild Gislas vor Augen, wie sie vor Schmerz und Angst schrie, während die Normannen ihr einer nach
dem anderen Gewalt antaten.
»Sie ist unberührt gestorben.«
»Deo gratias.«
Der Dorfpriester bekreuzigte sich. »Dann war es Gottes Wille. Johanna war ein starrköpfiges und unnatürliches Kind. Nie hätte
sie ihren Frieden mit der Welt gemacht. Es ist besser so.«
|289| »Sie wäre anderer Meinung.«
Falls der Dorfpriester die Ironie in ihrer Stimme bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken. »Johannas Tod hat deiner Mutter
schreckliche Trauer bereitet.«
»Wie geht es meiner Mutter?«
Für einen langen Augenblick erwiderte der Dorfpriester nichts. Als er schließlich antwortete, war seine Stimme zittriger als
zuvor.
»Sie ist fort.«
»Fort?«
»Zur Hölle gefahren«, sagte der Dorfpriester, »wo sie für alle Ewigkeit im Feuer brennen wird.«
»Nein.« Das plötzliche Begreifen schnürte Johanna beinahe die Kehle zu. »Nein.«
Nicht Mama mit ihrem wunderschönen Gesicht, den freundlichen Augen und den sanften Händen, die soviel Zärtlichkeit und Trost
gespendet hatten – Mama,
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