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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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die sie geliebt hatte.
    »Sie ist vor einem Monat gestorben«, fuhr der Dorfpriester fort, »ohne sich mit Christus ausgesöhnt und die Beichte abgelegt
     zu haben. Nein, zu ihren heidnischen Götzen hat sie gebetet! Als die Hebamme mir sagte, daß mein Weib sterben müsse, habe
     ich alles getan, was ich konnte, aber sie wollte das heilige Sterbesakrament nicht empfangen. Ich habe ihr die Hostie in den
     Mund geschoben, aber deine Mutter hat mich damit angespuckt.«
    »Die Hebamme war bei ihr? Du willst damit doch nicht etwa sagen …« Ihre Mutter war über fünfzig Jahre und längst über das
     gebärfähige Alter hinaus. Nach Johanna hatte sie kein Kind mehr bekommen.
    »Man hat mir nicht einmal erlaubt, sie auf dem Friedhof zu beerdigen. Nicht mit dem ungetauften Kind in ihrem Leib.« Er fing
     an zu weinen; tiefe, erstickte Schluchzer schüttelten seinen ganzen Körper.
    Hat er sie doch geliebt?
fragte sich Johanna. Ihr Vater hatte eine seltsame Art gehabt, seine Liebe zu zeigen – mit seinen wilden Zornesausbrüchen,
     seiner Grausamkeit und seiner Begierde, dieser selbstsüchtigen Begierde, die Gudrun letztendlich das Leben gekostet hatte.
    Die Schluchzer des Dorfpriesters verstummten allmählich, und er begann das Totengebet zu sprechen. Diesmal fiel Johanna nicht
     ein. Leise, kaum zu vernehmen, sprach sie den |290| heiligen Eid und rief den geheiligten Namen Thors des Donnerers an, genau so, wie ihre Mutter es sie vor langer Zeit gelehrt
     hatte.
    Schließlich räusperte ihr Vater sich unbehaglich. »Da wäre noch eine Sache, Johannes. Die Mission in Sachsen … meinst du …
     ob die Brüder bei der Arbeit mit den Heiden wohl meine Hilfe gebrauchen könnten?«
    Johanna war zutiefst erstaunt. »Und was ist mit deinen Aufgaben in Ingelheim?«
    »Weißt du, in Ingelheim ist meine Stellung … problematisch geworden. Das … Unglück, das vor kurzem geschehen ist … mit deiner
     Mutter …«
    Plötzlich begriff Johanna. Die Einschränkungen für verheiratete Priester, auf deren Einhaltung man während der Regierungszeit
     Karls des Großen nur halbherzig geachtet hatte, waren von seinem Sohn Ludwig, dem derzeitigen Herrscher, dessen religiöser
     Fanatismus ihm den Beinamen »der Fromme« eingetragen hatte, erheblich verschärft worden. Auf der Synode, die kürzlich in Paris
     stattgefunden hatte, waren sowohl die Theorie als auch die Praxis des priesterlichen Zölibats erheblich untermauert worden.
     Gudruns Schwangerschaft, der sichtbare Beweis dafür, daß es dem Dorfpriester an Keuschheit mangelte, hätte zu keinem ungünstigeren
     Zeitpunkt eintreten können.
    »Hast du deine Stellung verloren?« fragte Johanna.
    Widerwillig nickte ihr Vater. »Aber,
Deo volente
, ich habe die Kraft und das Können, Gottes Werk dennoch zu verrichten. Wenn du bei Abt Rabanus vielleicht ein gutes Wort
     für mich einlegen könntest …?«
    Johanna erwiderte nichts. Zu sehr war sie von Trauer, Zorn und Schmerz erfüllt; in ihrem Herzen war kein Platz mehr für Mitgefühl
     dem Vater gegenüber.
    »Du gibst mir keine Antwort. Du bist stolz geworden, mein Sohn.« Er stand auf, und seine Stimme nahm wieder ein wenig von
     ihrem alten, herrischen Beiklang an. »Denke daran, daß ich es war, der dich an diesen Ort gebracht hat und dem du deine jetzige
     Stellung im Leben verdankst. Hoffart kommt vor dem Sturz, und Hochmut kommt vor dem Fall. Buch der Sprichwörter, Vers sechzehn.«
    Heftig erwiderte Johanna: »Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. Erster Brief an die Korinther, Vers sieben.«
    |291| Ihr Vater hob den Gehstock, um Johanna damit zu schlagen, doch bei der Bewegung verlor er das Gleichgewicht und stürzte zu
     Boden. Johanna streckte die Hand aus, um ihm zu helfen. Er packte die Hand und zog sie zu sich hinunter, hielt sie ganz fest.
    »Mein Sohn«, erklang seine bittende, tränenerstickte Stimme in Johannas Ohr, »mein Sohn. Verlasse mich nicht. Du bist alles,
     was ich noch habe.«
    Angewidert riß Johanna sich los und wich so hastig vor ihm zurück, daß ihr die Kapuze vom Kopf rutschte und ihr Gesicht enthüllte.
     Hastig streifte Johanna sie wieder über, doch es war zu spät.
    Auf dem Gesicht des Dorfpriesters lag ein Ausdruck fassungslosen Wiedererkennens. »Tochter der Eva, was hast du getan? Wo
     ist dein Bruder Johannes?«
    »Er ist tot.«
    »Tot?«
    »Er wurde in der Kirche zu Dorstadt von Normannen erschlagen. Ich habe versucht, ihn zu retten, aber …«
    »Hexe! Schändliches Luder!

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