Die Päpstin
ungleichmäßig auf dem
glatten Deckel des Sarges verteilten, in dem Johannas verstorbener Vater ruhte.
Er hatte sie sein Leben lang gehaßt. Selbst als sie ein kleines Mädchen gewesen war – noch bevor die Gefechtslinien zwischen
ihnen gezogen waren –, hatte Johanna ihm kaum mehr entlocken können als eine widerwillige, griesgrämige Duldung ihrer Existenz.
Für ihren Vater war sie nie mehr als ein dummes, nichtsnutziges Mädchen gewesen.
Dennoch war Johanna entsetzt darüber, wie bereitwillig er ihre Identität preisgegeben und sie einem schrecklichen Schicksal
überantwortet hätte. Ohne zu zögern hätte er die eigene Tochter in einen grausamen Tod geschickt. Hätte ihn nicht plötzlich
der Schlag getroffen, hätte er Johanna zweifellos verraten.
Doch als sich nun die schwere, dunkle Erde auf dem Sarg |294| häufte, verspürte Johanna eine seltsame und unerwartete Melancholie. Sie konnte sich an keine Zeit in ihrem Leben erinnern,
da sie ihren Vater nicht gefürchtet, verabscheut, ja, gehaßt hatte. Trotzdem verspürte sie nun ein eigenartiges Gefühl des
Verlusts. Matthias, Johannes, Mama – sie alle gab es nicht mehr. Ihr Vater war Johannas letztes Bindeglied an zu Hause gewesen
– und an das kleine Mädchen, das sie einst gewesen war. Jetzt gab es keine Johanna von Ingelheim mehr; jetzt gab es nur noch
Johannes Anglicus, Priester und Mönch im Benediktinerkloster zu Fulda.
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|295| 17.
DAS SCHLACHTFELD VON
FONTENOY, 841
Die Wiese schimmerte im trüben grauen Licht der frühen Morgendämmerung; sie wurde von einem silberglänzenden Bach durchschnitten,
der sich in anmutigen Windungen durch das hohe Gras schlängelte.
Eine Szenerie, die so gar nicht zu einer Schlacht paßt,
dachte Gerold bedrückt, als er den Blick über die malerische Landschaft schweifen ließ.
Kaiser Ludwig der Fromme war noch nicht einmal seit einem Jahr tot, doch die schwelende Feindschaft zwischen seinen drei Söhnen
hatte sich bereits zu einem verheerenden Bürgerkrieg ausgeweitet. Der älteste, Lothar, hatte den Kaisertitel geerbt; doch
die Ländereien des Kaiserreichs wurden zwischen Lothar und seinen beiden jüngeren Brüdern Karl und Ludwig aufgeteilt – eine
unkluge und gefährliche Regelung, die bei den drei Söhnen für Unzufriedenheit gesorgt hatte. Dennoch hätte der Krieg vermieden
werden können, wäre Lothar ein besserer Diplomat gewesen. Doch er war von Natur aus gebieterisch und herrschsüchtig und behandelte
seine jüngeren Brüder mit einer solchen Herablassung, daß diese sich verbündet und offen gegen Lothar erhoben hatten. Und
hier, in Fontenoy, war nun der vorläufige Schlußpunkt erreicht. Die drei Brüder aus königlichem Geblüt waren entschlossen,
ihren erbitterten Streit mit Blut und Schmerzen zu beenden.
Nach eingehender Gewissensprüfung hatte Gerold beschlossen, sein Schicksal mit dem Kaiser Lothars zu verknüpfen. Natürlich
kannte er Lothars Fehler und Charakterschwächen nur zu gut, doch als der gesalbte Kaiser war Lothar die einzige Hoffnung auf
ein geeintes fränkisches Reich. Die Teilungen, durch die das Land im vergangenen Jahr zerstückelt worden war, hatten einen
schrecklichen Tribut gefordert: Die Normannen hatten sich die Schwächung des Frankenreiches zunutze gemacht, die durch den
inneren Zwist und den Bruderstreit noch verstärkt worden war; ihre Raubzüge an der |296| fränkischen Küste wurden immer häufiger und gewalttätiger und hatten furchtbare Zerstörungen zur Folge. Falls Lothar hier,
in Fontenoy, einen entscheidenden Sieg davontrug, hatten seine Brüder keine andere Wahl, als sich ihm zu unterwerfen und ihn
zu unterstützen. Und ein Frankenreich, das von einem Despoten regiert wurde, war immer noch besser als gar kein Frankenreich;
denn die Herrscher wechselten, das Reich aber blieb.
Die Trommeln wurden geschlagen und riefen die Männer zusammen. Lothar hatte eine Frühmesse befohlen, um seine Truppen vor
der Schlacht zu ermutigen. Gerold verließ seinen einsamen Ort der Meditation und kehrte ins Lager zurück.
In Gewänder aus Gold gekleidet, stand der Bischof von Auxerre auf einem hohen, schweren Transportwagen, so daß alle ihn sehen
konnten. »
Libera me, Domine, de morte aeterna
«, betete er in einem volltönenden, lauten Bariton, während Dutzende von Meßgehilfen zwischen den Männern umhergingen und
die Hostien verteilten. Viele Soldaten waren
coloni
und Bauern ohne jede Erfahrung im Waffenkampf; zu
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