Die Päpstin
Dämonin aus der Hölle!« Hastig bekreuzigte er sich.
»Vater, bitte, laß mich erklären …«, bat Johanna verzweifelt. Sie mußte ihn beruhigen, bevor seine laute, erhobene Stimme
die Aufmerksamkeit der Mitbrüder erregte.
Der Dorfpriester packte seinen Gehstock und kämpfte sich unbeholfen auf die Beine. Er zitterte am ganzen Körper. Johanna trat
auf ihn zu und wollte ihm helfen, doch er stieß sie zurück und sagte anklagend: »Du hast schon deinen älteren Bruder getötet.
Hättest du nicht wenigstens den jüngeren verschonen können?«
»Ich habe Johannes geliebt, Vater. Nie hätte ich ihm ein Leid angetan. Es waren die Normannen! Ohne Vorwarnung sind sie mit
Schwertern und Äxten über uns hergefallen.« Sie schluckte schwer, um die Schluchzer zu ersticken, die ihr in der Kehle aufstiegen.
Sie mußte weiterreden, mußte ihm erklären, wie es wirklich gewesen war. »Johannes hat zu kämpfen versucht, aber die Normannen
haben jeden getötet, jeden. Sie …«
Er wandte sich zur Tür. »Ich muß dem ein Ende machen. Ich muß dir Einhalt gebieten, bevor du noch mehr Unheil anrichtest.«
|292| Sie packte seinen Arm. »Tu’s nicht, Vater! Bitte! Man wird mich töten, wenn man erfährt, daß ich kein …«
Wutentbrannt fuhr er zu ihr herum. »Teuflischer Wechselbalg! Wärst du doch im heidnischen Leib deiner Mutter gestorben, bevor
sie dich zur Welt brachte!« Er versuchte, Johanna abzuschütteln, und sein Gesicht lief beängstigend rot an. »
Laß mich los!«
Verzweifelt klammerte Johanna sich am Arm des Vaters fest. Falls er durch die Tür der Kapelle gelangte, war ihr Leben verwirkt.
»Bruder Johannes?« erklang eine Stimme aus dem Türeingang. Es war Bruder Samuel. Auf seinem gutmütigen Gesicht spiegelte sich
Besorgnis. »Stimmt etwas nicht?«
Erschreckt löste sich Johannas Griff ein wenig. Sofort riß ihr Vater den Arm los und ging schwankend zu Bruder Samuel hinüber.
»Bringt mich zu Abt Rabanus. Ich muß ihm … muß ihm …« Plötzlich hielt er inne. Auf seinem Gesicht lag ein verwirrter, erstaunter
Ausdruck.
Mit dem Dorfpriester war eine erschreckende Veränderung vor sich gegangen. Seine Haut hatte ein noch tieferes Rot angenommen,
und sein Gesicht war eigenartig verzogen. Das Lid des rechten Auges war beinahe geschlossen, während das linke weit aufgerissen
war, und der Mund war gräßlich verzerrt.
»Vater?« Zögernd trat Johanna auf ihn zu und streckte die Hand aus.
Er versuchte, sich auf sie zu stürzen. Sein rechter Arm zuckte wild, als hätte er ihn nicht mehr unter Kontrolle.
Entsetzt wich Johanna zurück.
Ihr Vater rief irgend etwas Unverständliches; dann kippte er nach vorn wie ein gefällter Baum.
Bruder Samuel rief nach Hilfe. Sofort erschienen fünf Mönche im Türeingang der Kapelle.
Johanna kniete neben ihrem Vater und hielt ihn in den Armen. Sein Kopf ruhte schwer und schlaff an ihrer Schulter; sein dünnes
graues Haar ringelte sich zwischen ihren Fingern. Als Johanna ihm in die Augen blickte, sah sie schockiert, daß sich unversöhnlicher,
boshafter Haß darin spiegelte.
Die Lippen seines gräßlich verzerrten Mundes bewegten sich, als er zu sprechen versuchte. »M … m … m …«
|293| »Nicht reden«, sagte Johanna leise. »Das macht es nur schlimmer. Für dich und für mich.«
Mit lodernder Wut starrte er sie an, und mit einer letzten, explosiven Kraftanstrengung spie er ein einziges Wort hervor.
»
Mulier!«
Weib!
Wild warf er den Kopf von einer Seite zur anderen; dann ging plötzlich ein Ruck durch seinen Körper; er lag regungslos da,
und seine leeren Augen starrten ins Nichts.
Johanna beugte sich über ihn, um festzustellen, ob noch Atem über seine verzerrten Lippen kam, und ob an der Halsschlagader
noch sein Puls zu fühlen war. Doch nach wenigen Augenblicken richtete sie sich auf und drückte ihm die Lider zu. »Er ist tot.«
Bruder Samuel und die anderen Mönche bekreuzigten sich.
»Ich glaube, er hat noch irgend etwas gesagt, bevor er starb, nicht wahr, Bruder Johannes?« fragte Samuel. »Hast du es verstanden?«
»Er … hat die heilige Jungfrau Maria angerufen.«
Bruder Samuel nickte verständig. »Ein frommer Mann.« Er wandte sich den anderen zu. »Bringt ihn in die Kirche. Wir werden
seinen Leichnam mit aller gebotenen Feierlichkeit für die Beisetzung vorbereiten.«
Terra es, terram ibis.
Die Mönche nahmen mit den Händen Erde auf und warfen sie ins Grab; dunkle, feuchte Klumpen, die sich
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