Die Päpstin
blitzschnellen Hieb auf den anderen Arm des Gegners und fügte ihm eine klaffende
Wunde zu. Der Mann fluchte und wechselte den Streitkolben hastig in die linke Hand.
Von hinten erklang ein lautes, rauschendes Geräusch, wie das Schlagen von Vogelschwingen. Gerold spürte einen plötzlichen,
betäubenden Schmerz im Rücken. Er blickte über die Schulter und sah den Schaft eines Pfeiles, der sich tief in seine rechte
Schulter gebohrt hatte. Voller hilflosen Entsetzens beobachtete er, wie das Schwert ihm aus der Hand glitt, die mit einemmal
kraftlos geworden war.
Der riesige Mann vor ihm hob den schweren Streitkolben zum Schlag. Gerold versuchte noch, dem Hieb zu entgehen, erkannte aber,
daß es zu spät war.
Irgend etwas schien im Innern seines Kopfes zu explodieren, als der fürchterliche Hieb seinen Helm traf. Dann ließ undurchdringliche
Schwärze die Welt um ihn herum versinken.
Die Sterne strahlten in erhabener Schönheit über dem dunklen, zerwühlten Schlachtfeld, das mit den Körpern der Gefallenen
übersät war. Zwanzigtausend Mann, die am Morgen dieses Tages erwacht waren, lagen tot oder sterbend in der dunklen Nacht –
Adelige, Gefolgsleute, Bauern, Handwerker, Ehemänner, Väter, Söhne, Brüder: Der einstige Stolz eines Kaiserreichs und die
zerstörte Hoffnung auf seine Zukunft lagen in ihrem Blut.
Gerold bewegte sich und schlug die Augen auf. Für einen Moment lag er da und blickte zu den Sternen empor. Er konnte sich
nicht erinnern, wo er sich befand oder was geschehen war. Ein süßlicher Geruch stieg ihm ihn die Nase, Übelkeit erregend und
auf eine schreckliche Weise vertraut.
|305| Blut.
Gerold setzte sich auf. Die plötzliche Bewegung ließ grellen Schmerz in seinem Kopf explodieren, und dieser Schmerz brachte
die Erinnerung zurück. Um ihn herum lagen die Leichen von Kriegern, tote Pferde, Schwerter, zerschlagene Schilde, abgetrennte
Gliedmaßen, zerfetzte Banner – die gräßlichen Überreste einer Schlacht.
Von der Kuppe des Hügels, auf dem Karl und Ludwig ihre Lager bezogen hatten, drangen die Geräusche einer Siegesfeier herunter:
trunkenes Grölen und rauhes Gelächter, die geisterhaft über die tiefe Stille des Schlachtfelds wehten. Das Licht der Fackeln,
die die Sieger entzündet hatten, flackerte am Nachthimmel und erleuchtete das Feld von Fontenoy mit einem gespenstischen,
fahlen Schein. Vom kaiserlichen Lager Lothars auf dem gegenüberliegenden Hügel kam kein einziger Laut, und kein Feuer brannte
dort oben; finster und still lag der Hügel in der Nacht.
Lothar war geschlagen. Seine Truppen – oder was noch davon übrig war – hatten sich in kleinen Gruppen in die umliegenden Wälder
geflüchtet und jede Deckung genutzt, die sie vor den feindlichen Verfolgern schützte.
Gerold erhob sich und kämpfte eine Woge der Übelkeit nieder. Einige Meter entfernt fand er seinen braunen Hengst. Das Tier
hatte eine fürchterliche Wunde davongetragen; die Hinterläufe zuckten. Der Hengst hatte von unten einen Speerstoß in den Leib
erhalten; die Eingeweide quollen aus der klaffenden Wunde hervor. Als Gerold sich dem Hengst näherte, schreckte er eine kleine
dunkle Gestalt auf: ein räudiger, halbverhungerter Hund, der auf das Schlachtfeld gekommen war, um ein nächtliches Festmahl
zu halten. Drohend wedelte Gerold mit den Armen, und der Hund wich knurrend und widerwillig zurück.
Gerold ließ sich neben dem Hengst auf die Knie nieder, streichelte seinen Hals und redete leise auf ihn ein. Bei der vertrauten
Berührung ließ das gequälte Zucken der Hinterläufe nach, doch in den Augen des Tieres lagen Schmerz und Todesangst. Gerold
zog sein Messer unter dem Gürtel hervor. Er drückte fest zu, um sicherzugehen, daß er die Ader durchtrennte, als er die Klinge
über den Hals des Tieres zog. Dann hielt er den Kopf des Hengstes und sagte ihm leise, besänftigende Worte ins Ohr, bis das
Zucken der Hinterläufe endete |306| und die verkrampften Muskeln unter dem glatten Fell sich im Tod unter Gerolds Händen entspannten.
Irgendwo hinter Gerold erklang Stimmengemurmel.
»He! Sieh mal! Der Helm hier müßte mindestens einen
solidus
bringen.«
»Laß ihn liegen«, sagte eine andere Stimme, tiefer und bestimmender. »Der ist nichts wert. Der hintere Teil ist gespalten.
Siehst du das denn nicht, Dummkopf? Hier entlang, Leute. Sieht so aus, als wär’ da vorne mehr zu holen.«
Leichenfledderer. Die Schlacht hatte Diebe, Wegelagerer und
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