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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Stößel waren
     lindernder Balsam für den Schmerz und die Trauer in ihrem Innern.
    Leo war tot. Es schien unfaßbar, unmöglich. Er war so voller Energie gewesen, so kraftvoll – schon zu Lebzeiten eine beinahe
     überlebensgroße Gestalt. Wäre es diesem Mann gelungen, Rom endgültig aus dem Sumpf des Verfalls und der Armut zu ziehen, in
     dem die Stadt seit Jahrhunderten steckte? Sein Herz war groß genug dafür gewesen, und seine Willenskraft hätte genügt. Aber
     die Zeit war ihm nicht vergönnt gewesen.
    Die Tür wurde geöffnet, und Gerold trat ins Zimmer. Ihre Blicke trafen sich; Johanna spürte seine Präsenz so klar und deutlich,
     als hätte er sie berührt.
    »Ich habe gerade die Nachricht erhalten«, sagte er knapp, »daß Anastasius aus Aachen abgereist ist.«
    »Du glaubst doch nicht etwa, er kommt hierher?«
    »Doch. Warum sonst hätte er den kaiserlichen Hof so schnell verlassen sollen? Er kommt nach Rom, um Anspruch auf den Thron
     zu erheben, der ihm vor sechs Jahren verweigert wurde.«
    |480| »Aber er
kann
nicht zum Papst gewählt werden. Er ist exkommuniziert.«
    »Arsenius arbeitet schon eifrig daran, die Exkommunikation aufheben zu lassen. Er hat sich bereits an den Erzpriester gewandt.«
    »Großer Gott!« Das waren in der Tat schlechte Nachrichten. Nach sechs Jahren Exil am kaiserlichen Hof in Aachen war Anastasius
     gewiß mehr als je zuvor Lothars Marionette. Falls man ihn zum Papst wählte, würde Lothars Macht sich über Rom und alle seine
     Territorien ausbreiten.
    »Anastasius wird nicht vergessen haben, daß du dich bei der Wahl Leos gegen ihn ausgesprochen hast. Falls man ihn zum Papst
     wählt, wird es gefährlich für dich, in Rom zu bleiben. Anastasius ist ein Mann, der niemals vergißt.«
    Als sich zu dem Leid über Leos Tod nun auch noch Gerolds Worte gesellten, brach Johanna in Tränen aus.
    »Nicht weinen, mein Schatz,« sagte Gerold und nahm sie in seine starken, tröstenden Arme. Seine Lippen berührten ihre Schläfen,
     ihre Wangen, und erweckten in Johanna den Wunsch, diese Zärtlichkeiten zu erwidern. »Du hast genug getan, weiß Gott«, fuhr
     er fort, »und genug Opfer gebracht. Laß uns zusammen fortgehen, und dann leben wir so, wie wir es längst hätten tun sollen
     – als Mann und Frau.«
    Durch einen Schleier von Tränen sah Johanna sein Gesicht dicht vor dem ihren, und dann küßte er sie sanft.
    »Sag ja«, bat er sie. »Sag ja.«
    Johanna hatte das Gefühl, als würde sie unter die Oberfläche der bewußten Wahrnehmung hinabgezogen, von einem gewaltigen Strom
     des Verlangens erfaßt und davongerissen. »Ja«, flüsterte sie, bevor ihr klar wurde, was sie sagte. »Ja.«
    Sie hatte ohne bewußten Willen gesprochen und impulsiv auf die Kraft seiner Leidenschaft reagiert. Kaum hatte sie die Worte
     ausgesprochen, spürte sie, wie tiefe Ruhe sich über sie senkte. Die Entscheidung war gefallen, und sie schien richtig und
     unvermeidlich zugleich zu sein.
    Wieder beugte Gerold sich zu Johanna hinunter und küßte sie. In diesem Moment läutete die Glocke und rief zum Mittagsmahl.
     Augenblicke später erklangen Stimmen und eilige Schritte vor der Tür.
    Mit gemurmelten Zärtlichkeiten lösten sie ihre Umarmung |481| und versprachen einander, sich vor der Papstwahl wiederzutreffen.
     
    Am Tag der Wahl betete Johanna in Sankt Michael, der kleinen fränkischen Kirche, an der sie als Hilfspriester gewirkt hatte,
     nachdem sie nach Rom gekommen war.
    Beim großen Feuer bis auf die Grundmauern niedergebrannt, war auch die Sankt Michael mit Baumaterial wiedererrichtet worden,
     das man aus antiken römischen Tempeln und Monumenten herangeschafft hatte. Als Johanna nun vor dem Hochaltar kniete, bemerkte
     sie, daß der marmorne Sockel das Symbol der
Magna Mater
trug, der uralten Erdgöttin, die in grauer Vorzeit von heidnischen Stämmen verehrt worden war. Unter dem primitiven Symbol
     war die lateinische Inschrift eingemeißelt: »Der Weihrauch, der auf diesem Marmor brennt, soll dir, Göttin, ein Opfer sein.«
     Als der gewaltige Marmorblock hierher geschafft worden war, hatte offensichtlich niemand das Symbol deuten oder die alte Inschrift
     lesen können. Aber das war nicht weiter verwunderlich; viele römische Priester waren des Lesens und Schreibens nicht mächtig.
     Auch in diesem Fall hatten sie die uralte Inschrift nicht entziffern können, geschweige denn, ihre Bedeutung verstanden.
    Der eigentümliche Kontrast zwischen dem christlichen Altar und seinem

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