Die Päpstin
Loyalität zu kaufen; seine Spitzel bewegten sich rasch durch die Menge und versuchten, die Wähler mit Wein, Frauen und
Geld zu bestechen. Doch selbst diese Verlockungen fruchteten nichts; die Leute waren fest gegen Anastasius eingenommen, den
ihr geliebter verstorbener Papst Leo exkommuniziert hatte. Lautstark sprachen sie sich für den »kleinen Papst« aus, Leos Freund
und Gefährten Johannes Anglicus, und von diesem Entschluß konnte nichts und niemand sie abbringen.
Trotzdem hätten Johannas Fürsprecher den Sieg vielleicht doch nicht davongetragen; denn der herrschende Adel hätte nicht zugelassen,
von einer Horde gemeiner Bürger überstimmt zu werden – ob Verfassung oder nicht. Doch die päpstliche Partei, die in diesem
»Volksaufstand« eine unerwartete Möglichkeit sah, Anastasius den Weg zum Papstthron zu versperren, vereinte ihre Stimmen mit
denen der Laien. Damit war die Wahl entschieden. Johanna war der neue Papst.
|484| Anastasius und seine Eskorte hatten ihr Lager dicht vor Perugia aufgeschlagen, ungefähr hundertfünfzig Kilometer von Rom entfernt,
als ein Kurier mit der Nachricht eintraf. Anastasius stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus, noch bevor er die Botschaft
zu Ende gelesen hatte. Dann, ohne ein Wort an seine verdutzten Männer zu richten, wandte er sich um, verschwand wieder in
seinem Zelt und verschloß den Eingang, so daß niemand ihm folgen konnte.
Aus dem Innern des Zeltes hörten die Männer seiner Eskorte ein wildes, ungehemmtes Schluchzen, das sich nach einiger Zeit
in ein lautes Jammern und Klagen verwandelte, das den größten Teil der Nacht anhielt.
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|485| 27.
In einen golddurchwirkten, scharlachroten Seidenumhang gehüllt und auf einem weißen Zelter, der ebenfalls einen Umhang sowie
goldenes Zaumzeug trug, ritt Johanna in feierlichem Zug zu ihrer Weihe- und Krönungszeremonie in der Peterskirche. Aus jeder
Tür, jedem Fenster entlang der Via Sacra hingen Flaggen und Banner und flatterten in einem Meer aus Farben, und der Boden
war mit duftender Myrte bestreut. Dichtgedrängt säumten die jubelnden Menschen die Straßen und stießen und schubsten sich,
um einen Blick auf den neuen Papst zu erhaschen.
Tief in Gedanken und Erinnerungen versunken, nahm Johanna den Lärm der Menge kaum wahr. Sie dachte an Matthias und an ihren
alten Lehrer Aeskulapius und an Bruder Benjamin. Diese Menschen hatten an sie geglaubt, hatten sie ermutigt – doch einen Tag
wie diesen hätte sich wohl keiner von ihnen auch nur erträumt. Johanna konnte es selbst kaum glauben.
Als sie das erste Mal in die Rolle eines Mannes geschlüpft war – damals, bevor sie in die Bruderschaft des Klosters Fulda
aufgenommen wurde –, hatte Gott nicht die Hand gegen sie erhoben. Aber würde er ihr erlauben, heute auf den Thron des heiligen
Petrus zu steigen? Diese Frage ließ sie nicht los, und sie fand keine Antwort darauf.
Die päpstliche Garde, von Gerold geführt, eskortierte Johanna zu Pferde. Wachsam hielt Gerold den Blick auf die Menschenmengen
gerichtet, welche die Straßen säumten. Hin und wieder durchbrach jemand den Wall aus Leibern, den die Wachen bildeten, und
jedesmal glitt Gerolds Hand zum Schwert an seiner Hüfte, bereit, Johannas Leben zu verteidigen. Doch er hatte keinen Grund,
das Schwert aus der Scheide zu ziehen; denn die Leute wollten nur den Saum von Johannas Umhang küssen und ihren Segen empfangen.
Dieserart immer wieder unterbrochen, bewegte die lange |486| Prozession sich nur langsam und schwerfällig durch die gewundenen Straßen zur Leostadt. Als sie schließlich vor der Peterskirche
hielt, hatte die Sonne ihren höchsten Punkt am Himmel erreicht. Die Kardinäle, Bischöfe und Diakone nahmen hinter Johanna
Aufstellung, als sie vom Pferd stieg und zur Kathedrale ging. Langsam stieg sie die Treppe hinauf und betrat das funkelnde
Innere des Domes.
Das uralte und komplizierte Ritual der Krönungszeremonie, die
ordo coronatis,
dauerte mehrere Stunden. Zwei Bischöfe führten Johanna zum Oratorium des heiligen Gregor, wo ihr feierlich Meßgewand, Stola
und Pallium überreicht wurden, bevor sie zum Hochaltar schritt, wo anschließend das langwierige Zeremoniell der Weihe oder
Salbung stattfand. Dann folgte die eigentliche Messe; der vielen Gebete und Anrufungen wegen, die aufgrund der überragenden
Bedeutung dieses Gottesdienstes stattfanden, dauerte die Messe um einiges länger als üblich.
Die ganze Zeit
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