Die Päpstin
seine Schluchzer zu dämpfen.
Wieder stieß Leo mit einem lang anhaltenden, rasselnden Laut den Atem aus; dann verstummte er aufs neue. Diesmal zog die Stille
sich schier endlos dahin. Johanna trat vor. Das Leben war aus Leos Gesicht gewichen. Sie drückte ihm die Augen zu und ließ
sich neben dem Bett auf die Knie fallen.
Eustathius schrie vor Kummer laut auf. Die Bischöfe und
optimates
knieten zum Gebet nieder. Paschal, der
primicerius,
bekreuzigte sich; dann verließ er das Schlafgemach, um denen, die draußen warteten, die traurige Botschaft zu überbringen.
Papst Leo, Bischof von Rom, Statthalter Jesu Christi, Nachfolger der Apostelfürsten,
Summus pontifex
der gesamten Kirche, Patriarch des Abendlandes, Erzbischof und Metropolit der römischen Kirchenprovinz, Souverän des Staates
der Vatikanstadt, war tot.
Draußen vor dem Patriarchum begann das Jammern und Klagen.
Leo wurde in der Peterskirche beigesetzt, vor dem Altar eines neuen Oratoriums, das ihm geweiht war. Zu dieser Jahreszeit |478| wurden Bestattungen rasch vorgenommen, wobei die Person des Verstorbenen keine Rolle spielte; denn in der römischen Julihitze
setzte der Verwesungsprozeß sehr schnell ein.
Kurz nach der Beisetzung Leos verkündete das Interimstriumvirat für die »papstlose« Zeit – Erzdiakon Desiderius, Erzpriester
Eustathius und
primicerius
Paschal –, daß die Wahl des neues Papstes in drei Tagen stattfände. Mit Lothar im Norden, den Sarazenen im Süden und den Langobarden
und Byzantinern dazwischen, war Roms Lage zu gefährlich, als daß der Thron des heiligen Petrus länger hätte unbesetzt bleiben
dürfen.
Es geht zu schnell,
dachte Arsenius voller Zorn, als er die Neuigkeit erfuhr.
Die Wahl findet zu früh statt! Bis dahin kann Anastasius noch nicht hier sein.
Waldipert, dieser stümperhafte Dummkopf, hatte alles verpfuscht. Dabei hatte dieser Narr genaue Anweisungen erhalten, wie
er das Gift nach und nach verabreichen mußte, in kleinen Dosen; auf diese Weise hätte Leo mindestens einen Monat lang kränkeln
müssen – und sein Tod hätte keinen Verdacht erregt.
Doch Waldipert hatte die Nerven verloren; er hatte Leo eine zu starke Dosis verabreicht und ihn dadurch binnen weniger Stunden
getötet. Und dann hatte dieser Versager auch noch die Frechheit besessen, zu Arsenius zu kriechen und ihn um Schutz anzuflehen!
Tja, das Gesetz kann Waldipert jetzt wirklich nichts mehr anhaben; diesen Gefallen habe ich ihm getan,
dachte Arsenius,
wenn auch auf andere Weise, als er es sich vorgestellt hatte.
Arsenius hatte nicht zum erstenmal den Befehl erteilt, einen Menschen zu töten; das war der Preis, den man für die Macht entrichten
mußte, und nur die Schwachen schreckten davor zurück, ihn zu bezahlen. Doch nie zuvor hatte Arsenius jemanden ermorden lassen,
den er so gut gekannt hatte wie Waldipert. Aber so widerwärtig diese Sache auch gewesen sein mochte – sie war unumgänglich.
Denn hätten die Leute des Papstes Waldipert gefaßt, hätte er unter der Folter geredet und alles gestanden, was er wußte. Arsenius
hatte lediglich getan, was getan werden mußte, um sich und seine Familie zu schützen. Er hätte
jeden
vernichtet, der die Sicherheit seiner Familie gefährdete; er hätte ihn zerquetscht, wie man einen Floh zerdrückt, der einen
zwischen den Fingern gebissen hat.
|479| Dennoch hatte Waldiperts Tod in Arsenius’ Innerem ein Gefühl der Trauer und des Unbehagens hinterlassen. Derartige Gewalttaten,
und mochten sie noch so notwendig sein, forderten nun einmal einen hohen Tribut.
Arsenius schob diese Gedanken von sich und wandte sich dringlicheren Angelegenheiten zu. Daß sein Sohn nicht in der Stadt
war, machte die Dinge komplizierter; dafür zu sorgen, daß man Anastasius zum neuen Papst wählte, würde jetzt noch schwieriger
werden, war aber nicht unmöglich. Zuerst einmal mußte Arsenius den Erzpriester Eustathius aufsuchen, um die Exkommunikation
gegen Anastasius aufheben zu lassen. Um dieses Problem zu bewältigen, war kompliziertes politisches Taktieren erforderlich.
Arsenius nahm eine edelsteinbesetzte Klingel von seinem Pult und läutete nach seinem Schreiber. Es gab sehr viel zu tun und
nur sehr wenig Zeit.
In ihrem kleinen Labor im Patriarchum stand Johanna am Arbeitstisch und zerstampfte in ihrem Mörser getrockneten Ysop zu feinem
Pulver. Mahlen und stampfen, mahlen und stampfen – die gewohnten Bewegungen der Hände und Handgelenke mit dem
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