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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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stand Johanna aufrecht und in würdevoller Haltung da, wenngleich das Gewicht der schweren Priesterumhänge –
     die von Gold und Juwelen so steif und fest waren wie die eines byzantinischen Fürsten – auf ihren Schultern lastete. Doch
     ungeachtet ihres prachtvollen und ehrfurchtgebietenden Äußeren, kam Johanna sich angesichts der riesigen Verantwortung, die
     ihr auferlegt wurde, klein und schwach vor. Sie versuchte sich einzureden, daß all jene, die vor ihr hier gestanden hatten,
     auch gezweifelt und gezittert haben mußten. Und dennoch hatten sie irgendwie die Kraft gefunden, ihre gewaltigen Aufgaben
     anzugehen.
    Aber sie alle waren Männer gewesen.
    Eustathius, der Erzpriester, begann die letzte Anrufung: »Wir bitten dich, allmächtiger Gott, segne deinen Diener Johannes
     Anglicus und schenke ihm deine Gnade …«
    Wird Gott mich
tatsächlich
segnen?
fragte sich Johanna.
Oder wird sein Zorn mich in dem Augenblick zerschmettern, da mir die päpstliche Krone aufgesetzt wird?
    Der Bischof von Ostia trat vor; er trug ein Kissen aus weißer Seide in den Händen, auf dem die Tiara lag. Johanna stockte
     der Atem, als die Krone über sie erhoben wurde. Dann spürte sie, wie das Gewicht des goldenen Kleinods sich auf ihren Kopf
     senkte.
    Nichts geschah.
    |487| »Es lebe unser erhabener Papst Johannes Anglicus, durch Gottes Wille und mit seinem Segen unser höchster Bischof und Oberhirte
     der Christenheit!« rief Eustathius.
    Der Chor sang Laudes
,
als Johanna sich der Versammlung zuwandte.
     
    Der donnernde Jubel der Menschenmassen begrüßte Johanna, als sie auf den Stufen der Peterskirche erschien. Tausende von Gläubigen
     hatten seit Stunden in der glühenden Sonne ausgeharrt, um ihren neu gekrönten Papst zu begrüßen. Es war der Wille
dieser
Menschen gewesen, daß Johanna die Tiara tragen sollte, und dieser Wunsch äußerte sich nun in einem gewaltigen Chor überschwenglicher
     und freudiger Jubelrufe: »Papst Johannes! Papst Johannes! Papst Johannes!«
    Johanna begrüßte die Menschen lächelnd und mit erhobenen Armen. Sie spürte, wie ein Glücksgefühl in ihr aufstieg. Gott hatte
     tatsächlich erlaubt, daß dies alles geschah; also konnte es nicht gegen seinen Willen verstoßen. Alle Zweifel und Ängste Johannas
     verflogen und wichen einer wunderschönen und strahlenden Gewißheit:
Dies ist meine Bestimmung, und dies sind die mir von Gott anvertrauten Menschen.
    Sie wurde geheiligt durch die Liebe, die sie für diese Menschen empfand, denen sie an jedem Tag ihres Lebens im Namen Gottes
     dienen würde.
    Und vielleicht würde der Allmächtige ihr am Ende vergeben.
     
    Gerold stand in der Nähe auf der Treppe des Domes und beobachtete Johanna mit tiefem Erstaunen. Sie strahlte vor Glück und
     innerer Heiterkeit. Eine Freude, für die es keine Worte gab, hatte ihr Innerstes verwandelt und ihr Gesicht mit beinahe überirdischem
     Glanz erfüllt. Nur Gerold, der Johanna so gut kannte, konnte erahnen, was jetzt in ihr vorgehen mochte: Eine wahrhaftige Segnung
     des Geistes, die ungleich bedeutsamer, inniger und tiefer war als die vorausgegangene förmliche Zeremonie.
    In diesen Augenblicken sprach Gott aus ihr.
    Gerold sah, wie Johanna den Jubel der Menge entgegennahm, und sein Herz wurde von der schmerzlichen Einsicht erfüllt, daß
     er diese Frau für immer verloren hatte – und daß er sie zugleich mehr liebte als je zuvor.
     
    |488| Johannas erste Amtshandlung als Papst war ein Fußmarsch durch die Stadt. Von einer Abordnung
optimates
und päpstlichen Gardisten begleitet, besuchte sie nacheinander jeden der sieben Kirchenbezirke, sprach mit den Bewohnern und
     hörte sich ihren Kummer und ihre Nöte an.
    Als ihr Fußmarsch sich dem Ende näherte, führte Desiderius, der Erzdiakon, Johanna fort vom Fluß und die Via Lata hinauf.
    »Was ist mit dem Campus Martius?« fragte sie.
    Die Mitglieder des päpstlichen Gefolges schauten einander verwundert an. Der Campus Martius – das Marsfeld – war eine sumpfige,
     schwüle, tief gelegene Gegend, die an die Ufer des Tiber grenzte; es war der ärmste Teil der Stadt. In den großen Tagen der
     römischen Republik hatte der Campus Martius der Anbetung des heidnischen Gottes Mars gedient; dort war der Exerzierplatz der
     Stadt gewesen. Jetzt durchstreiften verwilderte Hunde, zerlumpte Bettler, Diebe und andere Halunken die einst so stolzen Straßen.
    »Wir können es nicht riskieren, uns dorthin zu begeben, Heiligkeit«, sagte Desiderius. »Das

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