Die Päpstin
sogar ein wenig von seiner alten Energie zurückzuerlangen. Als Johanna ihm eines Abends seinen Heiltrank brachte,
betrachtete Leo die milchig-trübe Mixtur mit leichtem Widerwillen.
»Wie wär’s statt dessen mit einer Fleischpastete?«
»Ah, Ihr bekommt wieder Appetit. Das ist ein gutes Zeichen. Aber es ist besser, nichts zu überstürzen. Nehmt jetzt bitte Euren
Trank; ich schaue morgen früh wieder nach Euch. Falls Ihr dann immer noch hungrig seid, werde ich Euch eine leichte Gemüsesuppe
kochen.«
»Tyrann!« schimpfte er. »Henkersknecht!«
Johanna lächelte zuversichtlich. Leo war offensichtlich auf dem Wege der Besserung.
Doch als sie früh am nächsten Morgen nach ihm schaute, hatte er einen Rückfall erlitten. Stöhnend lag er im Bett; seine Schmerzen
waren so schlimm, daß er nicht einmal auf Johannas Fragen antworten konnte.
Rasch bereitete sie ein frisches Schmerzmittel. Während sie noch damit beschäftigt war, fiel ihr Blick auf einen leeren Teller,
auf dem Essensreste zu sehen waren und der auf dem Tisch neben dem Bett stand.
»Was ist das?« fragte sie Renatus, Leos persönlichen Kammerdiener.
»Wieso fragt Ihr?« entgegnete der Junge verwundert. »Ich habe Seiner Heiligkeit die Fleischpastete gebracht, wie Ihr es angeordnet
hattet.«
|476| »Ich habe nichts dergleichen angeordnet!«
Renatus blickte verwirrt drein. »Aber … aber mein Herr, der
vicedominus,
hat gesagt, Ihr hättet es ausdrücklich befohlen.«
Johanna betrachtete Leo, der sich vor Schmerzen krümmte, und ein schrecklicher Verdacht stieg in ihr auf.
»Lauf!« befahl sie Renatus. »Hol den
superista
und die Wachen! Und sorge dafür, daß Waldipert den Palast nicht verläßt!«
Der Junge zögerte nur einen Augenblick; dann stürmte er aus dem Schlafgemach.
Mit zitternden Händen bereitete Johanna ein starkes Brechmittel aus Senf und Essig; dann flößte sie Leo die gelbe Mixtur löffelweise
ein. Nach wenigen Augenblicken überkam ihn der reinigende Krampf; sein ganzer Körper bäumte sich konvulsivisch auf, doch er
erbrach lediglich dünne grüne Galle.
Zu spät. Das Gift ist schon aus seinem Magen und im Körper.
Voller Entsetzen beobachtete Johanna, daß es bereits seine todbringende Arbeit aufgenommen hatte: Es spannte die Muskeln an
Leos Kiefer und der Kehle und erwürgte ihn.
Fieberhaft überlegte Johanna, was sie noch tun konnte.
Gerold erteilte den Befehl, jedes Zimmer im Palast zu durchsuchen. Waldipert war nirgends zu finden. Sofort wurde der
vicedominus
zum flüchtigen Verbrecher erklärt und in allen Stadtteilen eine intensive Suche eingeleitet, die bis in die umliegenden Landstriche
hinein geführt wurde. Doch die Jagd nach dem Attentäter war erfolglos; Waldipert war wie vom Erdboden verschluckt.
Als die Männer ihre Suche schon aufgeben wollten, wurde Waldipert gefunden. Er trieb im Tiber; seine Kehle war von einem Ohr
bis zum anderen aufgeschlitzt, und auf seinem starren Gesicht lag noch immer ein Ausdruck der Verwunderung.
Der Klerus und die hohen Beamten Roms hatten sich im päpstlichen Schlafgemach versammelt. Dichtgedrängt standen sie am Fuße
des Bettes, als wollten sie einander durch die körperliche Nähe Trost spenden.
Die Flammen der Öllampen brannten niedrig in ihren silbernen Feuerschalen. Beim ersten Licht des neuen Tages kam der oberste
Kammerdiener aufs Zimmer, um die Lampen zu |477| löschen. Johanna beobachtete, wie der alte Mann die Stricke in den Wandhalterungen löste und die Lampen mit äußerster Vorsicht
herunterließ, um nichts von dem kostbaren Öl zu vergießen. Diese schlichte, alltägliche Geste erschien Johanna in der gefühlsgeladenen
Atmosphäre des Schlafgemachs seltsam fehl am Platze.
Johanna hatte nicht damit gerechnet, daß Leo diese Nacht überlebte. Seit langer Zeit schon reagierte er nicht mehr auf Worte
oder auf Berührungen, und seit Stunden war seine Atmung dem gleichen unveränderlichen Ablauf gefolgt: Zuerst wurde sie immer
lauter, ging immer schneller und keuchender, bis sie zu einem beängstigenden Crescendo angestiegen war – um dann abrupt auszusetzen.
Immer dann verharrten alle Anwesenden und erwarteten das Ende; doch bis jetzt hatte der schreckliche Kreislauf jedesmal von
neuem begonnen.
Eine plötzliche Bewegung erregte Johannas Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite des Zimmers war der Erzpriester Eustathius
in Tränen ausgebrochen; er hatte sich den Ärmel seines Umhangs vor den Mund geschlagen, um
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