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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Jahr auf den gleichen Tag fielen, so, wie Weihnachten und Epiphanias. Das Fest des Stuhles Petri, die
     Beschneidung Christi, die Geburt Johannes des Täufers, der Michaelistag, Allerseelen und die Kreuzeserhöhung waren ebenfalls
     feste Feiertage. Ostern, das höchste Fest des christlichen Jahres, war ein beweglicher Feiertag; sein Platz im Kalender richtete
     sich nach dem kirchlichen Vollmond, ebenso wie der Fastnachtsdienstag, der Aschermittwoch, Christi Himmelfahrt und Pfingsten.
    Jeder dieser christlichen Festtage wurde mit mindestens viertägigen Feiern begangen: Es gab die Vigil oder den Vortag des
     Festes, dann den Festtag selbst, dann den Tag nach dem Fest und schließlich die Oktav, den achten Tag beziehungsweise die
     Woche nach dem Festtag. Alles in allem gab es mehr als einhundertfünfundsiebzig christliche Festtage, an denen zeitraubende,
     bis ins kleinste festgelegte Feierlichkeiten stattfanden.
    Aus diesem Grund blieb Johanna nur sehr wenig Zeit, tatsächlich zu
regieren
oder sich um Dinge zu kümmern, die ihr wirklich am Herzen lagen: das Los der Armen wie auch die Ausbildung des Klerus zu verbessern.
     
    Im August wurde der beschwerliche und eintönige liturgische Alltag durch eine Bischofskonferenz unterbrochen. Siebenundsechzig
     Prälaten nahmen daran teil, darunter sämtliche |493| Provinzialbischöfe, die
suburbicarii,
sowie die vier fränkischen Bischöfe, die von Kaiser Lothar geschickt worden waren.
    Zwei der Themen, die auf der Synode behandelt wurden, lagen Johanna besonders am Herzen. Das erste war die Diskussion des
intinctio,
das auf Johanna selbst zurückging und bei dem das Abendmahlsbrot bei der Kommunion in den Weinbecher getaucht und dann an
     die Gläubigen verteilt wurde. In den zwölf Jahren, die vergangen waren, seit Johanna das
intinctio
in Fulda eingeführt hatte, um die Ausbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, hatte diese Praxis sich so weit verbreitet,
     daß sie im Frankenreich inzwischen fast allgemein üblich war. Der römische Klerus jedoch – der natürlich nichts von Johannas
     Verbindung mit dem
intinctio
wußte –, betrachtete diese neue Vorgehensweise mit Argwohn.
    »Es ist ein Verstoß gegen das Gesetz Gottes«, erklärte der Bischof von Castrum empört. »Aus der Heiligen Schrift geht eindeutig
     hervor, daß Christus sein Fleisch und sein Blut
getrennt
seinen Jüngern reichte.«
    Der Bischof erntete allgemeines zustimmendes Kopfnicken.
    »Ich schließe mich der Meinung meines Amtskollegen an«, sagte Pothos, der Bischof von Trevi. »In den Schriften der Kirchenväter
     ist nirgends die Rede davon, daß das Brot in den Wein getaucht wird. Schon deshalb muß eine solche Vorgehensweise abgelehnt
     werden.«
    »Sollen wir eine Idee nur deshalb ablehnen, weil sie neu ist?« fragte Johanna.
    »Wir sollten uns in allen Dingen von der Weisheit der Alten leiten lassen«, erwiderte Pothos gewichtig. »Und wir können uns
     nur einer einzigen Wahrheit sicher sein – nämlich jener, die uns in der Vergangenheit gewährt worden ist.«
    »Alles, was alt ist, war irgendwann neu«, entgegnete Johanna, »und stets geht das Neue dem Alten voraus. Ist es da nicht dumm
     und widersinnig, auf der einen Seite alles zu verdammen, was zuerst kommt, und auf der anderen Seite alles in den Himmel zu
     heben, was aus zuerst Gekommenem entstanden ist?«
    Pothos furchte die Brauen, als er diesen Darlegungen zu folgen versuchte. Wie die meisten seiner Amtskollegen hatte er keine
     Übung in gelehrten Disputen und Rededuellen; er fühlte sich nur wohl in seiner Haut, wenn er Autoritäten zitieren konnte.
    |494| Während der langwierigen Diskussion, die nun entbrannte, setzte Johannas logisch geschulter Verstand sich schließlich durch.
     Die Bischöfe willigten ein, daß das
intinctio
im Frankenreich beibehalten wurde – vorerst jedenfalls.
    Der nächste Punkt, der diskutiert wurde, war für Johanna von großem persönlichem Interesse, denn er betraf ihren alten Freund
     Gottschalk, den einstigen Fuldaer Mönch, dem sie vor vielen Jahren geholfen hatte, die Freiheit zu erlangen. Gottschalk war
     zunächst dem Kloster Orbais in der Erzdiözese Reims beigetreten, hatte dann die Priesterweihe empfangen und sich als Wanderprediger
     betätigt. Wie die fränkischen Bischöfe berichteten, steckte er nun wieder einmal in großen Schwierigkeiten – eine Nachricht,
     die Johanna betrübte, aber nicht besonders verwunderte: Gottschalk war ein Mann, der das Unglück so

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