Die Päpstin
Viertel ist von Typhus und Cholera
verseucht.«
Doch Johanna ging bereits in Richtung Fluß, flankiert von Gerold und den päpstlichen Gardisten. Desiderius und dem Rest des
Gefolges blieb keine andere Wahl, als ihnen zu folgen.
Reihen von
insulae
– die beengten, heruntergekommenen Mietskasernen, in denen die Armen hausten – standen dicht an dicht zu beiden Seiten der
schmutzigen Straßen, die sich entlang des Flußufers hinzogen; die verrottenden Bretter und Balken bogen sich wie die Rücken
uralter, geschundener Arbeitspferde. Einige
insulae
waren zusammengebrochen; die Trümmerhaufen aus verfaulenden Balken lagen dort, wo sie zu Boden gestürzt waren, und versperrten
die schmalen Straßen, über die sich die Bögen der verfallenden Aqua Marcia spannten; dieses Aquädukt hatte einst zu den größten
architektonischen Wundern der Welt gehört. Jetzt aber tröpfelte trübes Wasser aus seinen eingestürzten Mauern, das sich in
faulig riechenden, schwarzen Pfützen auf den Straßen sammelte: Brutplätze für Krankheiten.
Gruppen von Bettlern kauerten um Töpfe herum, in denen übelriechendes Essen über kleinen Feuern aus Zweigen und |489| getrocknetem Dung kochte. Die Straßen waren von einer dunklen, öligen Schicht überzogen, die der Tiber bei Hochwassern hinterlassen
hatte. Müll und Exkremente verstopften die Abflüsse; in der Sommerhitze stieg der Gestank schier unerträglich in die unbewegte
Luft und zog Schwärme von Fliegen, Ratten und anderes Ungeziefer an.
»Gütiger Himmel«, hörte Johanna Gerold murmeln, der neben ihr ging. »Dieses Viertel ist eine Pesthöhle!«
Johanna kannte das Gesicht der Armut, doch nie zuvor hatte sie einen Ort gesehen, an dem dermaßen erbärmliche Zustände und
eine so bittere Armut herrschten.
Zwei kleine Kinder kauerten vor einem Kochfeuer. Ihre Tuniken waren so fadenscheinig, daß Johanna die weiße Haut der Kinder
hindurchschimmern sehen konnte; ihre nackten Füße waren mit schmutzigen Lumpen umwickelt. Das eine Kind, ein kleiner Junge,
litt offensichtlich an Fieber; trotz der Sommerhitze zitterte sein Körper unkontrolliert. Johanna zog ihren leinenen Chormantel
aus und legte ihn dem Jungen behutsam um. Das Kind rieb die Wange an dem Stoff, der weicher war als alles, was es in seinem
bisherigen Leben gespürt hatte.
Johanna bemerkte, wie jemand an ihrem Umhang zupfte. Das kleinere der beiden Kinder, ein rundäugiges, pausbäckiges Mädchen,
blickte fragend zu ihr auf. »Bist du ein Engel?« fragte es mit piepsiger Stimme.
Sanft umfaßte Johanna das schmutzige runde Kinn. »Du bist der Engel, meine Kleine.«
In dem Topf, den die Kinder erhitzten, färbte sich ein Stück graues, sehniges Fleisch, dessen Herkunft nicht zu bestimmen
war, allmählich braun. Eine junge Frau mit strähnigem gelbem Haar kam mit müden Schritten vom Flußufer zur Straße hinauf und
schleppte einen Eimer Wasser mit sich.
Ist sie die Mutter der beiden Kinder?
fragte sich Johanna. Die Frau war selbst kaum mehr als ein Mädchen – bestimmt nicht älter als sechzehn Jahre.
In ihren Augen leuchtete Hoffnung auf, als sie Johanna und die anderen Prälaten erblickte. »Habt Ihr ein Almosen, guter Vater?«
fragte sie und streckte eine schmutzige Hand aus. »Eine Münze für meine beiden Kleinen?«
Johanna nickte Viktor zu, dem
sacellarius,
der einen Silberdenar auf die Handfläche der jungen Frau legte. Mit einem |490| glücklichen Lächeln stellte sie den Wassereimer ab, um sich die Münze in die Tasche zu stecken.
Johanna sah, daß Schmutzteile in dem trüben, übelriechenden Wasser trieben.
Benedicte!
dachte sie. Zweifellos war dieser Schmutz für die Fieberkrankheit des kleinen Jungen verantwortlich. Doch da das Aquädukt
in Trümmern lag, hatten die Bewohner dieses Viertels keine andere Möglichkeit, sich Wasser zu beschaffen. Sie mußten die verpestete
Brühe aus dem Tiber zum Kochen, Waschen und Trinken benutzen.
Inzwischen hatten weitere Bewohner des Viertels Johanna und ihre Begleitung erkannt. Die Menschen drängten sich um die hohen
Besucher; jeder wollte dem neuen Papst die Ehre erweisen. Johanna streckte die Arme aus, berührte so viele Leute wie möglich
und erteilte ihnen den Segen. Doch als die Menge wuchs und wuchs, drängten die Menschen sich bald so dicht um Johanna, daß
sie sich kaum mehr bewegen konnte. Gerold erteilte Befehle; die Wachtsoldaten trieben die Menge zurück und machten eine Gasse
frei, und die päpstliche
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