Die Päpstin
reden und tun, was ich kann, um sein gesträubtes Gefieder
zu glätten. Und ich verspreche dir, in Zukunft diplomatischer zu sein. Aber die Schule für Frauen ist mir zu wichtig. Von
diesem Plan lasse ich mich nicht abbringen.«
»Das hatte ich auch nicht anders erwartet«, erwiderte Gerold mit einem Lächeln.
Im September wurde die Schule für Frauen feierlich eingeweiht. Johanna gab ihr den Namen Sankt-Katharinen-Schule, zum Angedenken
an ihren Bruder Matthias, der sie als erster mit dem Leben und Wirken der Heiligen bekannt gemacht hatte. Jedesmal, wenn Johanna
an dem kleinen Gebäude in der Via Merulana vorüberkam und die weiblichen Stimmen laut irgend etwas lesen hörte, hatte sie
das Gefühl, ihr Herz müsse vor Freude zerspringen.
Und Gerold gegenüber hielt sie Wort. Sie war höflich und diplomatisch zu Jordanes und den anderen
optimates.
Sie schaffte es sogar, ihre Zunge im Zaum zu halten, als sie Kardinal Citonatus darüber predigen hörte, daß nach dem Tag des |499| Jüngsten Gerichts die »Mängel« der Frauen behoben seien, da alle Menschen ja sowieso als Männer wiedergeboren würden. Johanna
ließ Citonatus zu sich bestellen und erklärte ihm – als »wohlgemeinter und hilfreicher Vorschlag« verschleiert –, daß es vielleicht
besser sei, die Zeile über die Männer aus seiner »zutiefst bewegenden Predigt« zu streichen, um eine »bessere Wirkung« bei
den weiblichen Mitgliedern der Gemeinde zu erzielen. Auf so diplomatische Weise vorgebracht, fiel Johannas Vorschlag auf fruchtbaren
Boden, zumal Citonatus sich ob der Aufmerksamkeit des Papstes geschmeichelt fühlte. Von nun an jedenfalls tauchten die rein
männlichen Auferstandenen in seiner Predigt nicht mehr auf.
Geduldig und ohne zu klagen ertrug Johanna das tägliche Einerlei der Audienzen, Messen, Segnungen und Ordinationen. Auf diese
Weise zogen die langen kalten Tage des Herbstes ohne weitere Zwischenfälle friedlich vorüber; die Wogen, welche die Schule
für Frauen geschlagen hatte, glätteten sich, und alles ging seinen geregelten Gang.
An den Iden des November verdunkelte sich der Himmel, und es fing an zu regnen. Zehn Tage lang goß es wie aus Kübeln; die
Regentropfen trommelten unablässig auf die Schindeldächer der Häuser, so daß die Bewohner sich ob des andauernden, nervtötenden
Geräusches die Ohren zustopfen mußten. Bald konnten die uralten Abwasserkanäle der Stadt die Regenmengen nicht mehr bewältigen;
auf den Straßen sammelte sich das Wasser in immer größeren Pfützen, die anwuchsen, sich zu Strömen vereinten, rauschend und
gurgelnd über die Straßen flossen und das Basaltsteinpflaster in einen tückischen, glatten Belag verwandelten.
Und der Regen hielt an. Das Wasser des Tiber stieg gefährlich hoch und trat schließlich auf der gesamten Länge des Flusses
von der Stadt bis zum Meer über die Ufer; der Tiber überflutete die Felder der Campagna, zerstörte die Ernte und ertränkte
das Vieh auf den Weiden.
Innerhalb der Stadtmauern wurde der tief gelegene Campus Martius, das dichtbesiedelte Wohnviertel der Armen, als erstes überschwemmt.
Einige Bewohner flüchteten auf höheres Gelände, als die Wasser des Tiber zu steigen begannen, doch viele blieben, da sie ihre
Wohnungen und ihre jämmerlichen Habseligkeiten nicht zurücklassen wollten, wobei sie |500| sich der Konsequenzen einer solchen Verzögerung nicht bewußt waren.
Und dann war es zu spät. Das Wasser stieg über Mannshöhe und vereitelte jeden weiteren Fluchtversuch. In den
insulae
wurden Hunderte von Menschen gefangen; falls die Fluten weiter anschwollen, würden die Leute ertrinken.
In solchen Fällen zog der Papst sich für gewöhnlich in die Kathedrale des Laterans zurück, las dort eine feierliche Litanei,
warf sich vor dem Altar zu Boden und betete für die Erlösung Roms. Zum Erstaunen – und zur Bestürzung – des Klerus beschritt
Johanna einen ganz anderen Weg und ließ statt dessen Gerold zu sich rufen, um Pläne zur Rettung der Bürger zu besprechen.
»Was können wir tun?« fragte sie. »Es muß doch eine Möglichkeit geben, alle diese Menschen in Sicherheit zu bringen.«
»Die Straßen um den Campus Martius sind völlig überflutet«, erwiderte Gerold. »Es gibt nur noch die Möglichkeit, die Leute
mit Booten dort fortzuholen.«
»Was ist mit den Booten in Ripa Grande?«
»Das sind nur leichte Fischerboote. Wahrscheinlich sind sie zu zerbrechlich für den reißenden
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