Die Päpstin
Feinde waren bestimmbar, die Ziele klar, und die Tatsachen unumstößlich.
Unermüdlich trieb Gerold sich und seine Männer an, und nach drei Monaten war die Arbeit abgeschlossen.
Das wiedererrichtete Aquädukt wurde am Fest Mariä Verkündigung förmlich eingeweiht. Angeführt von Johanna, umrundete der gesamte
Klerus – Meßgehilfen, Lektoren, Exorzisten, Priester, Diakone, Bischöfe – die gewaltigen Bögen aus dunklem Tuff in feierlicher
Prozession und besprenkelte das Gestein mit Weihwasser, während Gebete und Psalmen gesprochen und geistliche Lieder gesungen
wurden. Dann machte die Prozession halt, und Johanna sprach ein paar feierliche Segensworte. Dabei blickte sie hinauf zu Gerold,
der wartend auf dem vordersten Bogen des Aquädukts stand – schlank, langbeinig und um einen Kopf größer als die Männer um
ihn herum.
Johanna nickte Gerold zu, worauf er einen Hebel betätigte und die Schleusen öffnete. Laut jubelten die Zuschauer, als das
kalte, klare, gesunde Wasser aus den Quellen von Subiaco, die sich in ungefähr fünfzig Kilometer Entfernung von |516| der Stadtmauer befanden, nach mehr als dreihundert Jahren wieder zum Campus Martius hinein strömten.
Der Papstthron war im kaiserlichen Stil gefertigt: ein schwerer, mit reichen Schnitzereien verzierter Stuhl aus massiver Eiche
mit hoher Rückenlehne und mit Rubinen, Perlen, Saphiren und anderen kostbaren Juwelen besetzt – ein gleichermaßen unbequemes
wie eindrucksvolles Möbelstück. Johanna saß nun seit mehr als fünf Stunden auf diesem Thron und gewährte einem nicht abreißenden
Strom von Bittstellern Audienz. Doch inzwischen verlagerte sie immer wieder nervös ihre Sitzhaltung und versuchte, den wachsenden
Schmerz im Rücken zu mildern.
Juvianus, der oberste Diener, kündigte den nächsten Bittsteller an. »
Magister militum
Daniel.«
Johanna seufzte leise. Der Armeekommandant Daniel war ein schwieriger Mensch, empfindlich und jähzornig. Außerdem zählte er
zu den engen Verbündeten von Bischof Arsenius. Daß Daniel gekommen war, konnte nichts Gutes bedeuten.
Mit raschen Schritten näherte der Offizier sich dem Papstthron, wobei er einigen der Notare und anderen päpstlichen Beamten
zunickte.
»Heiligkeit.« Er begrüßte Johanna mit einer so knappen Verbeugung, daß es fast schon unhöflich war; dann begann er ohne Umschweife
und mit schroffer Stimme: »Stimmt es, daß Ihr Nicephorus bei den Weihen im März zum Bischof von Trevi ernennen wollt?«
»Allerdings.«
»Der Mann ist Grieche!« protestierte Daniel.
»Na, und? Was spielt das für eine Rolle?«
»Ein so bedeutendes Amt muß von einem Römer bekleidet werden.«
Johanna stieß einen innerlichen Stoßseufzer aus. Es stimmte, daß ihre Vorgänger das Episkopat als politisches Werkzeug benutzt
und Bischofsämter – wie auch andere heißbegehrte Posten – unter den vornehmen römischen Familien verteilt hatten. Johanna
hatte mit dieser Tradition gebrochen; denn sie hatte dazu geführt, daß es eine große Zahl von
episcopi agraphici
gab – Bischöfe, die weder lesen noch schreiben konnten und die Unwissenheit und alle Arten von Aberglauben unter |517| die Menschen gebracht hatten. Wie sollte ein Bischof seine Schäfchen das Wort Gottes richtig lehren, wenn er es nicht einmal
lesen konnte?
»Ein so bedeutendes Amt«, erwiderte Johanna gelassen, »sollte demjenigen anvertraut werden, der am besten dafür geeignet ist.
Nicephorus ist ein gelehrter und frommer Mann. Er wird ein ausgezeichneter Bischof sein.«
»Kein Wunder, daß Ihr so denkt, wo Ihr ja selbst kein Römer seid, sondern ein Barbar.« Die im Saal Versammelten sogen scharf
und hörbar den Atem ein. Daniel hatte statt des neutralen Begriffs
peregrinus
absichtlich das beleidigende
barbarus
benutzt.
Johanna blickte Daniel fest in die Augen. »Das hat nichts mit Nicephorus zu tun«, sagte sie. »Ihr laßt Euch von der Selbstsucht
leiten, Daniel; denn Ihr wollt Euren eigenen Sohn Peter auf dem Bischofsstuhl sehen.«
»Und was ist daran verkehrt?« erwiderte Daniel verteidigend. »Was Herkunft, Familie und Tugend anbelangt, ist Peter hervorragend
für dieses Amt geeignet.«
»Aber nicht, was seine Fähigkeiten anbelangt«, sagte Johanna geradeheraus.
Fassungslos, mit offenem Mund, starrte Daniel sie an. »Ihr wagt es … Ihr wagt es, meinen Sohn …«
»Euer Sohn«, unterbrach Johanna ihn, »kann aus einem Lektionar, das auf dem Kopf liegt, ebensogut lesen, als
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