Die Päpstin
sie: »Ich liebe dich. Aber ich kann mich nicht vor der großen Verantwortung, die Gott und die Menschen mir auferlegt
haben, wie ein Dieb in der Nacht fortschleichen. Die Leute glauben an mich; ich kann sie nicht im Stich lassen. Würde ich
das tun, dann würde ich mich in jemand anderen verwandeln. Ich wäre nicht mehr der Mensch, den du liebst.«
»Ich verstehe«, sagte Gerold. »Und ich werde dich nicht mehr bedrängen. Aber eines sollst du wissen. Und ich werde es nur
einmal sagen, hier und jetzt, und dann nie mehr wieder. Du bist mein wahres Leben auf Erden, und ich bin dein wahrer Gatte.
Egal was geschieht, egal, welches Schicksal |511| uns erwartet – nichts und niemand kann je etwas daran ändern.«
Sie zogen sich an, um bereit zu sein, sobald die Retter kamen. Und so saßen sie beieinander und blickten sich an, in gleichermaßen
liebevolle wie wehmütige Gedanken an den anderen versunken, als die Boote eintrafen.
Als man sie zurück zum Patriarchum ruderte, hielt Johanna den Kopf wie im Gebet gesenkt. Sie war sich der wachsamen Blicke
der päpstlichen Gardesoldaten bewußt und wagte es nicht, Gerold anzuschauen; denn sie hatte ihre aufgewühlten Gefühle immer
noch nicht unter Kontrolle.
Als sie am Kai anlegten, waren sie in Windeseile von einer jubelnden, begeisterten Menschenmenge umringt. Es blieb ihnen nur
noch Zeit für einen letzten Blick zurück, bevor sie im Triumphzug zu ihren getrennten Unterkünften geleitet wurden.
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|512| 28.
Papa populi
nannten die Leute sie, »Papst des Volkes«. Wieder und wieder erzählte man sich die Geschichte, wie der Papst am schlimmsten
Tag des Hochwassers seinen Palast verlassen und sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um seine Schutzbefohlenen zu retten.
Wann immer Johanna in die Stadt kam, wurde ihr ein stürmischer Empfang bereitet. Ihr Weg wurde mit duftenden Akanthusblüten
bestreut, und aus allen Fenstern riefen die Leute ihr Segenswünsche zu. Johanna bezog Kraft und Trost aus der Liebe der Menschen,
und sie widmete sich ihnen mit neu gewonnenem Eifer.
Auf der anderen Seite waren die
optimates
und der hohe Klerus empört über Johannas Verhalten am Tag der Flut. Der Bischof von Rom, das Oberhaupt der Christenheit, das
in einem Rettungsboot den Menschen zu Hilfe eilt, war eine absurde, lächerliche Vorstellung – eine Peinlichkeit für die Kirche
und ein Schlag gegen die Würde des päpstlichen Amtes.
Die Würdenträger betrachteten Johanna mit wachsender Entfremdung, was durch die gravierenden Unterschiede noch verstärkt wurde,
die sich daraus ergaben, daß dieser Papst ein Ausländer von obskurer Herkunft war, während die meisten hohen Amtsträger aus
vornehmen römischen Familien stammten. Zudem glaubte Papst Johannes an die Kraft der Logik und die Stichhaltigkeit von Beobachtungen;
der hohe Klerus dagegen glaubte allein an die Kraft heiliger Reliquien und göttlicher Wunder. Der Papst war vorausschauend
und fortschrittlich, die Würdenträger konservativ und durch Gewohnheit an Traditionen gebunden.
Die meisten
optimates
und Kleriker waren bereits im Kindesalter in kirchliche Dienste getreten, so daß sie bei Eintritt ins Erwachsenenalter tief
in der lateranischen Tradition verwurzelt und kaum mehr zum Umdenken fähig waren. In ihrer Verständniswelt konnte man beim
Handeln und Denken nur |513| einen richtigen oder einen falschen Weg beschreiten – und bislang war stets der richtige Weg gewählt worden.
Verständlicherweise war der Klerus aus diesem Grunde besorgt, was Johannas Stil der Amtsführung betraf. Sobald sie ein Problem
sah – beispielsweise die Notwendigkeit, ein Hospital zu errichten oder die Ungerechtigkeit eines bestechlichen Beamten zu
bestrafen oder Engpässe bei der Nahrungsmittelversorgung zu beseitigen –, versuchte sie stets, dieses Problem so schnell wie
möglich aus der Welt zu schaffen. Oft wurde ihr von der päpstlichen Bürokratie ein Strich durch die Rechnung gemacht, denn
dieser riesige, träge Verwaltungsapparat hatte über die Jahrhunderte hinweg die verwirrende Kompliziertheit eines Labyrinths
angenommen. Es gab Hunderte verschiedener Abteilungen, jede mit ihrer eigenen Hierarchie und ihren eifersüchtig gehüteten
Verantwortlichkeiten.
Ungeduldig auf schnelleres und wirkungsvolleres Arbeiten bedacht, suchte Johanna nach Möglichkeiten, die Unzulänglichkeiten
dieses Systems zu beseitigen. Als Gerold für die Weiterführung der
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