Die Päpstin
wenn es richtig
herum läge. Aber nicht, weil Gott ihm eine besondere Gabe verliehen hat, sondern weil er des Lateins nicht mächtig ist. Die
wenigen Abschnitte aus der Heiligen Schrift, die er beherrscht, hat er auswendig gelernt. Die Leute haben etwas Besseres verdient.
Und mit Nicephorus
bekommen
sie etwas Besseres!«
Daniels Körper spannte sich, und sein Gesicht lief rot an. »Merkt Euch meine Worte, Heiligkeit: In dieser Sache ist längst
noch nicht das letzte Wort gesprochen!«
Damit wandte er sich um und verließ den Saal.
Er wird schnurstracks zu Arsenius gehen,
dachte Johanna bei sich.
Und der wird zweifellos irgendeine Möglichkeit finden, mir zusätzlichen Ärger zu bereiten.
In einem hatte Daniel recht: In dieser Sache war längst noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Plötzlich fühlte Johanna sich unsäglich müde. Die Luft in dem fensterlosen Saal kam ihr mit einemmal dick und zäh vor; |518| ihr war übel, und sie fühlte sich schwach. Sie zerrte an ihrem Pallium, dem Schultertuch, und streifte es ab.
»Der ehrenwerte
superista«,
kündigte Juvianus den nächsten Besucher an.
Gerold! Johannas Stimmung hob sich. Seit dem Tag ihrer Rettung aus dem hochwasserüberfluteten Campus Martius hatten sie nicht
mehr miteinander gesprochen. Johanna hatte gehofft, daß Gerold heute kommen würde – und hatte sich gleichzeitig vor dem Wiedersehen
gefürchtet. Sie versuchte, eine ausdruckslose Miene zu bewahren und sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen, da sie sich
der neugierigen Blicke der anderen im Saal bewußt war.
Doch als Gerold eintrat, schlug Johannas verräterisches Herz vor Freude und Erregung schneller. Das flackernde Lampenlicht
tanzte auf seinem Gesicht und meißelte im Spiel von Licht und Schatten seine hohe, glatte Stirn und die schön geformten Wangenknochen
hervor. Gerold erwiderte Johannas Blick; ihre Augen trafen sich in stummem Zwiegespräch, und für einen kurzen Moment waren
sie trotz der vielen Beamten und Bediensteten im Saal allein und ungestört.
Gerold kniete vor dem Papstthron nieder.
»Erhebt Euch,
superista«,
sagte sie. War es nur Einbildung, oder schwankte ihre Stimme ein wenig? »Heute ist Euer Haupt mit Ruhm bekränzt. Ganz Rom
steht in Eurer Schuld.«
»Ich danke Euch, Heiligkeit.«
»Wir werden Eure unschätzbare Leistung heute abend mit einem Fest feiern, und Ihr werdet an meinem Tisch den Ehrenplatz einnehmen.«
»Ich bitte um Vergebung, aber ich werde nicht an der Feier teilnehmen können. Ich verlasse Rom noch heute.«
»Ihr … wollt Rom verlassen?« fragte Johanna fassungslos. »Aber warum?«
»Jetzt, wo das große Werk vollendet ist, mit dem Ihr mich betraut habt, lege ich mein Amt als
superista
nieder. Prinz Siconulf hat mich gebeten, nach Benevento zurückzukehren und wieder den Befehl über sein Heer zu übernehmen
– und ich habe sein Angebot angenommen.«
Johanna behielt ihre würdevolle Haltung auf dem Papstthron bei, doch ihre Hände krampften sich um die Armlehnen. »Das geht
nicht«, sagte sie schließlich mit entschlossener Stimme. »Ich erlaube nicht, daß Ihr Euer Amt niederlegt.«
|519| Die versammelten Prälaten hoben die Brauen. Gewiß, es war ungewöhnlich, daß jemand ein so hohes und angesehenes Amt niederlegte,
doch Gerold war ein freier Mann, ein fränkischer Markgraf, dem es offenstand, wem er seine Dienste anbot.
»Indem ich Siconulf helfe«, erwiderte Gerold mit ruhiger Stimme, »werde ich auch Rom weiterhin dienen; denn Siconulfs Herrschaftsgebiete
bilden ein starkes christliches Bollwerk gegen die Langobarden und Sarazenen.«
Johanna ließ den Blick durch den Saal schweifen. »Laßt uns allein«, befahl sie allen Anwesenden.
Ganz kurz tauschten Juvianus und die anderen erstaunte Blicke; dann verließen sie mit demütigen Verbeugungen den Saal.
»War das klug?« fragte Gerold, als alle gegangen waren. »Es könnte sein, daß du jetzt ihren Verdacht erregt hast.«
»Ich mußte mit dir allein sprechen«, erwiderte Johanna drängend. »Rom verlassen? Wie, um alles in der Welt, kommst du auf
diese Idee? Egal – ich werde es nicht zulassen. Siconulf muß sich einen anderen Heerführer suchen. Ich brauche dich hier,
bei mir.«
»Oh, mein Schatz.« Seine Stimme war voller Zärtlichkeit. »Sieh uns doch an – wir können uns ja nicht einmal in die Augen schauen,
ohne daß alle Welt genau weiß, was wir füreinander empfinden. Ein einziger unbedachter Blick, eine unvorsichtige
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