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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zu fürchten, Tochter der Eva. – Bring mir die Gerte.«
    Johanna ging in eine Ecke des Raumes und nahm die lange schwarze Rute, die ihr Vater bei solchen Gelegenheiten benutzte.
    »Mach dich bereit«, sagte der Dorfpriester.
    Johanna kniete sich vor dem Herd auf den Fußboden. Langsam, denn ihre Hände zitterten, öffnete sie ihren grauen Wollmantel,
     streifte ihre Tunika aus Leinen ab und entblößte die nackte Haut ihres Rückens.
    »Beginne mit dem Vaterunser.« Die Stimme des Dorfpriesters war ein dumpfes Grollen, das aus allen Richtungen gleichzeitig
     zu kommen schien.
    »Vater unser, der du bist im Himmel …«
    Der erste Schlag traf Johanna genau zwischen die Schulterblätter. Die dünne Gerte schnitt ins Fleisch und jagte einen glühenden
     Speer aus Schmerz durch ihren Körper, bis er mit einem grellen Blitz in ihrem Kopf explodierte.
    »Geheiligt werde dein Name …«
    Der zweite Schlag war noch schmerzhafter. Johanna biß sich in den Arm, um ihre Qualen nicht laut hinauszuschreien. Ihr Vater
     hatte sie schon öfters verprügelt, aber so noch nie – nicht mit so brutaler, rücksichtsloser, erbitterter Wut.
    »Dein Reich komme …«
    Beim dritten Schlag fuhr die Gerte tief ins aufgeplatzte Fleisch. Blut schoß hervor. Johanna wurde schwarz vor Augen. Sie
     spürte, wie ihr die warme Feuchtigkeit über den Rücken und die Hüften hinunterlief.
    »Dein Wille geschehe …« Der Schock des viertes Hiebes riß Johannas Kopf in den Nacken. Sie sah, wie ihr Bruder das Geschehen
     vom Bett aus gebannt beobachtete. Doch auf seinem Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck. War es Furcht? Neugier? Mitleid?
    |84| »Im Himmel wie auf …« Erneut zischte die Gerte herab. Im Bruchteil einer Sekunde – noch bevor der Schmerz Johanna wie eine
     Feuerlohe durchraste, so daß sie instinktiv die Augen schloß – erkannte sie den Ausdruck auf dem Gesicht ihres Bruders. Es
     war Frohlocken.
    »… wie auf Erden … Unser … täglich Brot … gib uns heute …«
Ssst.
Wieder ein Schlag, bei dem ihr schwarz vor Augen wurde. Der wievielte Hieb war es? Johannas Sinne waren in hellem Aufruhr.
     Mehr als fünf Schläge hatte sie noch nie hinnehmen müssen.
    Ssst.
Irgendwo in der Ferne hörte Johanna jemanden schreien.
    »… und vergib uns … vergib uns …« Ihre Lippen bewegten sich, doch sie brachte kein Wort mehr hervor.
    Ssst.
    Mit dem letzten Rest an Geisteskraft, der ihr geblieben war, begriff Johanna plötzlich. Diesmal würde es niemals enden. Diesmal
     würde ihr Vater nicht aufhören. Diesmal würde er so lange weitermachen, bis er sie totgeschlagen hatte.
    Ssst.
    Das Schrillen in ihren Ohren steigerte sich zu einem unerträglichen Crescendo. Dann, plötzlich, gab es nichts mehr als Stille
     und gnädige Dunkelheit.

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    |85| 6.
    Tagelang war die Geschichte von Johannas Prügelstrafe im Dorf in aller Munde. Der Dorfpriester hatte die eigene Tochter mit
     der Gerte so schrecklich zugerichtet, daß es sie um ein Haar das Leben gekostet hätte, erzählte man sich; der Dorfpriester
     hätte das Mädchen tatsächlich totgeschlagen, hätten die Schreie seiner Frau nicht die Aufmerksamkeit einiger Dorfbewohner
     erregt. Es hatte dreier kräftiger Männer bedurft, um den Dorfpriester von dem Kind fortzuzerren.
    Doch es lag nicht an der Grausamkeit der Schläge, daß die Leute über diese Sache redeten. Solche Dinge waren an der Tagesordnung.
     Hatte der Hufschmied nicht seine Frau zu Boden geschlagen und ihr so lange ins Gesicht getreten, bis sämtliche Knochen gebrochen
     waren, weil er ihre Nörgeleien satt hatte? Das arme Wesen war für den Rest seines Lebens entstellt; aber dagegen konnte man
     nun mal nichts machen. Ein Mann war Herr im eigenen Hause, und niemand stellte diese Tatsache in Frage. Das einzige Gesetz,
     das der unumschränkten Herrschaft des Mannes gewisse Grenzen setzte, wenn es um Strafen ging, die er als angemessen betrachtete,
     beschränkte die Größe des Knüppels, den er beim Austeilen besagter Strafen benutzen durfte. Und der Dorfpriester hatte ja
     nicht mal einen Knüppel benutzt, bloß eine Gerte.
    Nein, was die Bürger Ingelheims viel mehr interessierte war die Tatsache, daß der Dorfpriester die Beherrschung verloren hatte.
     Ein derart gewalttätiger Ausbruch war bei einem Mann Gottes etwas Unerwartetes, ja, Unziemliches, und deshalb – was Wunder
     – zerrissen die Leute sich die Mäuler darüber. Seit der Dorfpriester die sächsische Frau zu sich an Tisch und Bett geholt
     hatte, war

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