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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nichts vorgefallen, über das man im Dorf so viel und so gern getuschelt hatte. Es war schon eine seltsame, lustige
     Sache. In kleinen Gruppen standen die Leute beisammen, tuschelten und hielten abrupt inne, wenn der Dorfpriester vorüberkam.
    |86| Johanna wußte nichts von alledem. Nachdem der Vater sie verprügelt hatte, durfte auf sein Geheiß einen ganzen Tag lang niemand
     auch nur in ihre Nähe. Deshalb lag Johanna die Nacht und den ganzen darauffolgenden Tag bewußtlos in der Hütte. Schmutz vom
     zertrampelten Fußboden setzte sich auf ihrer aufgeplatzten Haut und dem zerfetzten Fleisch fest. Als Gudrun endlich die Erlaubnis
     erhielt, sich um ihre Tochter zu kümmern, hatten die Wunden sich entzündet, und in Johannas Körper breitete sich ein gefährliches
     Fieber aus.
    Gudrun pflegte ihre Tochter aufopferungsvoll. Wie sehr sie sich wünschte, Hrotrud würde noch leben! Sie hätte gewußt, was
     zu tun wäre. Gudrun wusch Johannas Wunden mit frischem Wasser aus und legte ihr Tücher auf, die sie mit starkem Wein getränkt
     hatte. So behutsam sie konnte, um dem Mädchen keine weiteren Verletzungen zuzufügen, zog sie dann die Tücher ab und bestrich
     das rohe Fleisch vorsichtig mit einer kühlenden Salbe aus Maulbeerblättern.
    Daran ist nur dieser Grieche schuld,
ging es Gudrun voller Bitterkeit durch den Kopf, als sie heiße Milch mit Wein und Gewürzen kochte und sie Johanna einflößte,
     indem sie den Kopf des bewußtlosen Mädchens anhob und ihr den Heiltrank behutsam in den Mund träufelte.
Dem Kind ein Buch zu geben und ihr nutzlose Gedanken in den Kopf zu setzen war unverantwortlich!
Johanna war ein Mädchen, und deshalb hatte sie mit Bücherwissen nichts zu schaffen. Das Kind ist dazu bestimmt, bei mir zu
     bleiben, bei der Mutter, dachte Gudrun zornig – bei der
sächsischen
Mutter -, um die verborgenen Geheimnisse und die Sprache meines Volkes zu lernen, auf daß Johanna später einmal die Freude
     und der Trost meines Alters ist.
    Möge die Stunde verflucht sein, als der Grieche den Fuß über die Schwelle dieses Hauses setzte. Möge der Zorn der Götter ihn
     treffen!
    Doch trotz allen Schmerzes hatte es Gudrun mit Stolz erfüllt, als sie miterlebte, welche Tapferkeit das Kind an den Tag gelegt
     hatte. Johanna hatte ihrem Vater mit der heldenhaften Kraft ihrer sächsischen Ahnen die Stirn geboten. Auch sie selbst, Gudrun,
     war einst stark und mutig gewesen. Doch die langen Jahre der Demütigungen und des Lebens in einem fremden Land hatten ihr
     den Kampfeswillen geraubt, langsam, aber unaufhaltsam.
Wenigstens,
dachte sie stolz,
ist mein Blut mir treu geblieben. Und deshalb hat meine Tochter die Kraft und den Mut meines Volkes geerbt.
    |87| Sie hielt inne, streichelte Johanna über die Kehle und half ihr auf diese Weise, den Heiltrank zu schlucken.
Werde gesund, meine kleine Wachtel, dachte sie. Werde gesund, und komm zu mir zurück.
     
    Am frühen Morgen des neunten Tages ging das Fieber herunter. Johanna erwachte. Sie hatte Schmerzen, war aber wieder bei vollem
     Bewußtsein. Sie sah, daß Gudrun sich über sie beugte.
    »Mama?« Johannas Stimme klang seltsam heiser und fremd in den eigenen Ohren.
    Ihre Mutter lächelte. »Also bist du endlich doch noch zu mir zurückgekehrt, kleine Wachtel. Eine Weile hatte ich schon Angst,
     ich hätte dich verloren.«
    Johanna versuchte, sich aufzusetzen, hatte aber nicht die Kraft und fiel wieder auf das Strohlager. Schmerz durchzuckte sie
     und brachte die Erinnerung zurück.
    »Das Buch?«
    Gudrun verzog das Gesicht. »Dein Vater hat die Seiten saubergeschabt und deinem Bruder den Auftrag erteilt, irgendwelchen
     neumodischen Unsinn darauf zu schreiben.«
    Also gab es das Buch nicht mehr.
    Johanna fühlte sich unsagbar schwach. Sie war krank; sie wollte schlafen.
    Gudrun hielt ihr eine Holzschüssel hin, die mit einer dampfenden Flüssigkeit gefüllt war. »Du mußt jetzt essen, damit du wieder
     zu Kräften kommst. Hier, ich habe dir eine Brühe gekocht.«
    »Nein.« Johanna schüttelte müde den Kopf. »Ich möchte keine Brühe.« Und sie wollte auch nicht wieder zu Kräften kommen. Sie
     wollte sterben. Was gab es denn noch, für das zu leben sich gelohnt hätte? Sie würde sich nie aus den engen Grenzen Ingelheims
     befreien können. Das Leben hier hielt sie umschlossen, wie in einer Falle, und es gab keine Hoffnung auf ein zukünftiges Entkommen.
    »Du mußt ein bißchen essen«, drängte Gudrun. »Und während du ißt, singe ich dir eins

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