Die Päpstin
Welt, die gestorben war.« Ihre Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Es dauerte nicht
lange, bis mir klar wurde, was für einen schrecklichen Fehler ich begangen hatte.«
Ihre Augen waren rot umrandet und schwammen in Tränen. Johanna umarmte sie. »Nicht weinen, Mama.«
|90| »Du mußt aus meinem Fehler lernen«, sagte Gudrun heftig, »damit dir nicht das gleiche passiert. Wenn du heiratest, gibst du
alles auf – nicht nur deinen Körper, auch deinen Stolz, deine Unabhängigkeit, sogar dein Leben. Verstehst du?
Verstehst
du?« Sie packte Johannas Arm und schaute sie mit einem drängenden, verzweifelten Blick an. »Falls du jemals glücklich sein
möchtest, dann merk dir meine Worte, Tochter:
Gib dich niemals einem Mann hin.
«
Über die narbige Haut auf Johannas Rücken lief ein Schauder, als sie an den Schmerz dachte, den die Schläge des Vaters ihr
bereitet hatten. »Das werde ich nicht tun, Mama«, versprach sie feierlich, »das werde ich niemals tun.«
Im Ostarmanoth, als die Tiere auf die Weiden getrieben wurden und die warmen Frühlingswinde die Erde streichelten, wurde die
Eintönigkeit des Alltags durch die Ankunft eines Fremden unterbrochen. Es war an einem Donnerstag – Thors Tag nannte Gudrun
ihn noch immer, wenn der Dorfpriester nicht in der Nähe war– und in der Ferne war das Grollen dieses sächsischen Gottes zu
vernehmen, während Johanna und Gudrun gemeinsam im Garten arbeiteten. Johanna jätete Unkraut und trat Maulwurfshügel nieder,
während Gudrun ihr folgte, die Furchen zog und die Erdklumpen mit einem dicken Eichenknüttel zerstampfte. Bei den Arbeiten
sang Gudrun Lieder aus ihrer Heimat und erzählte Sagen über die alten Götter. Als Johanna auf Sächsisch antwortete, lachte
Gudrun vor Freude. Johanna hatte gerade eine Reihe fertig, als sie den Blick hob und sah, wie Johannes über das Feld zu ihnen
gerannt kam. Warnend klopfte sie der Mutter auf den Arm. Kaum sah Gudrun ihren Sohn, erstarben ihr die sächsischen Worte auf
den Lippen.
»Rasch!« Johannes war vom Laufen außer Atem. »Vater möchte, daß ihr zum Haus kommt. Beeilt euch! Er wartet schon!« Er zerrte
Gudrun am Arm.
»Sachte, Johannes«, ermahnte sie den Jungen. »Du tust mir weh. Was ist denn los? Stimmt irgend etwas nicht?«
»Ich weiß nicht.« Noch immer zog Johannes die Mutter am Ärmel. »Vater hat irgendwas von einem Besucher gesagt. Ich weiß nicht,
wer es ist. Aber beeilt euch. Vater sagt, er gibt mir ein paar Ohrfeigen, wenn ich euch nicht auf der Stelle zu dem Mann bringe.«
|91| Der Dorfpriester erwartete sie an der Tür des Grubenhauses und winkte sie ins Innere. »Das wurde aber auch Zeit«, sagte er.
Gudrun musterte ihn kühl. Ein winziger Funke des Zorns blitzte in den Augen des Dorfpriesters; wichtigtuerisch richtete er
sich zu seiner vollen Größe auf. »Ein Abgesandter ist auf dem Wege. Vom Bischof von Dorstadt.« Er hielt inne, um seine Worte
einwirken zu lassen. »Bereite ihm ein angemessenes Mahl. Ich werde den Abgesandten in der Kathedrale treffen und dann mit
ihm hierherkommen.«
Gudrun und Johanna schauten sich an.
»Beeil dich, Weib! Der Gesandte wird bald eintreffen.« Damit wandte er sich um, verließ das Haus und schlug die Tür hinter
sich zu.
Gudruns Gesicht war starr und ausdruckslos. »Fang du mit der Gemüsesuppe an«, sagte sie zu Johanna. »Ich gehe inzwischen ein
paar Eier holen.«
Johanna goß Wasser aus dem Eichenholzeimer in den großen eisernen Topf, den die Familie zum Kochen benutzte; dann stellte
sie den Topf über das Herdfeuer. Aus einem wollenen Sack, der nach dem langen Winter fast leer war, nahm sie ein paar Handvoll
getrockneter Gerste und warf sie in den Topf. Erstaunt bemerkte Johanna, daß ihre Hände vor Aufregung zitterten. Es war lange
her, seit sie das letzte Mal irgend etwas empfunden hatte.
Ein Abgesandter des Bischofs! Ob es irgend etwas mit ihr zu tun hatte? Hatte Aeskulapius nach so langer Zeit doch noch eine
Möglichkeit gefunden, daß sie, Johanna, ihre Studien weiterführen konnte?
Sie schnitt eine Scheibe vom gepökelten Schweinefleisch ab und gab es in den Topf. Nein, sagte Johanna sich. Das ist unmöglich.
Seit Aeskulapius’ Abreise ist fast ein Jahr vergangen. Hätte er irgend etwas für mich tun können, hätte ich es schon längst
erfahren. Gib dich keinen falschen Hoffnungen hin! Das ist gefährlich.
Denn schon einmal hatte die Hoffnung sie beinahe vernichtet. Noch einmal wollte
Weitere Kostenlose Bücher