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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Feuer.« Anerkennend betastete er die Seiten
     des Buches. »Das Mädchen hat recht. Pergament ist ein kostbarer Stoff, und dieses hier könnte einem guten Zweck zugeführt
     werden.« Er legte das Buch auf den Tisch und verschwand im angrenzenden Raum.
    Was hatte er damit gemeint? Johanna schaute ihre Mutter an, doch diese zuckte hilflos mit den Achseln. Unmittelbar zu ihrer
     Linken saß Johannes aufrecht im Bett, von dem Lärm längst erwacht. Furcht lag in seinen großen runden Augen, mit denen er
     auf Johanna starrte.
    Der Dorfpriester kam zurück. Er hielt etwas Langes, Schimmerndes in der rechten Hand. Es war sein Jagdmesser mit dem Hirschhorngriff.
     Wie immer erfüllte der Anblick des Messers Johanna mit einem schrecklichen, verwirrenden Gefühl des Entsetzens. Das verschwommene
     Bild einer fast vergessenen Erinnerung blitzte für einen Augenblick am Rande ihres Bewußtseins auf. Dann war es verschwunden,
     bevor sie sich darauf besinnen konnte, was es gewesen war.
    Ihr Vater setzte sich an das kleine Schreibpult. Er drehte das Messer in einen schiefen Winkel, so daß die scharfe Klinge
     leicht angeschrägt auf der Buchseite lag; dann schabte er an dem feinen Pergament. Einer der Buchstaben auf der Seite verschwand.
     Der Dorfpriester stieß ein zufriedenes Schnaufen aus.
    »Es funktioniert. Ich habe so etwas schon einmal gesehen – ein einziges Mal, im Kloster von Corvey. So bekommt man die Pergamentseiten
     sauber und kann sie noch einmal benutzen. Komm her«, er winkte Johanna herrisch zu sich, »und schab Seite für Seite sauber.
     Das ganze Buch.«
    Das also sollte ihre Strafe sein. Durch ihre Hand sollte das kostbare Buch vernichtet werden. Ihre Hand würde das verbotene
     Wissen auslöschen – zusammen mit all ihren Hoffnungen.
    In den Augen des Dorfpriesters funkelte boshafte, erwartungsvolle Freude.
    Mit hölzernen Bewegungen nahm Johanna das Messer und |82| setzte sich ans Schreibpult. Dann hielt sie die Waffe so, wie sie es beim Vater gesehen hatte, und rieb die Klinge langsam
     über die Buchseite.
    Nichts geschah.
    »Es geht nicht.« Hoffnungsvoll blickte Johanna auf.
    »Du mußt es anders machen.« Der Dorfpriester legte die Hand auf die der Tochter, drückte sie nach unten und vollführte mit
     der Klinge eine leichte Bewegung zur Seite. Ein weiterer Buchstabe verschwand. »Versuch es noch einmal.«
    Johanna dachte an Aeskulapius, an die langen, ungezählten Arbeitsstunden, die er für dieses Buch aufgewendet hatte, und an
     das Vertrauen, das er in sie gesetzt hatte, als er ihr das Buch schenkte. Die Seite verschwamm, und die Schrift wurde undeutlich,
     als ihr Tränen in die Augen stiegen.
    »Bitte. Ich bringe das nicht übers Herz. Bitte, Vater.«
    »Du hast Gott durch deinen Ungehorsam beleidigt, Tochter. Zur Strafe wirst du Tag und Nacht arbeiten, bis jede einzelne Seite
     von ihrem unchristlichen Inhalt gereinigt ist. Bis du diese Aufgabe erfüllt hast, wirst du nur Wasser und Brot bekommen. Ich
     werde derweil zu Gott beten, daß er dir deine schwere Sünde vergeben mag.« Er zeigte auf das Buch. »Fang an.«
    Johanna legte das Messer auf die Buchseite und schabte mit der Klinge so, wie der Vater es ihr gezeigt hatte. Einer der Buchstaben
     zerbröckelte, verblaßte, und verschwand schließlich. Johanna bewegte das Messer weiter; noch ein Buchstabe wurde ausgelöscht.
     Dann noch einer. Und noch einer. Bald darauf war das ganze Wort verschwunden, und nur noch die rauhe, abgeschürfte Oberfläche
     des Pergaments war zu sehen.
    Johanna führte die Klinge zum nächsten Wort.
Aletheia
, lautete es.
Wahrheit.
Johanna hielt inne; ihre Hand schwebte über dem Wort.
    »Mach weiter.« Die Stimme ihres Vaters war streng, herrisch.
    Wahrheit. Die gerundeten, schwarzen Konturen der so wundervoll gleichmäßigen Buchstaben hoben sich kräftig auf dem blassen
     Pergament ab.
    In Johannas Innerem stieg wilder, flammender Widerwille auf. All ihr Kummer, ihre nächtlichen Ängste und Sorgen wichen mit
     einem Mal der überwältigen Gewißheit:
Das muß nicht sein!
    Sie legte das Messer nieder. Langsam schaute sie auf, wappnete |83| sich, dem Blick ihres Vaters zu begegnen. Was sie in seinen Augen las, ließ sie schaudern.
    »Nimm das Messer.« Die Drohung in seiner Stimme war unüberhörbar.
    Johanna wollte etwas erwidern, brachte aber keinen Laut hervor; die Kehle war ihr wie zugeschnürt.
    »Nimm das Messer.«
    Sie schüttelte den Kopf.
Nein.
    »Dann werde ich dich lehren, die Qualen der Hölle

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