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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Johanna und ihren Bruder zu baden und beiden saubere Sachen zu besorgen, bevor ihnen die Erlaubnis erteilt
     werden dürfe, vor den Bischof zu treten.
    Für Johanna, die an Katzenwäschen in dem kleinen Bach gewöhnt war, der hinter dem Grubenhaus vorüberplätscherte, war das Bad
     ein außerordentliches Erlebnis. Im Bischofspalast gab es Badezimmer im
Innern
, sogar mit geheiztem Wasser! Von einem solchen Luxus hatte Johanna noch nie gehört. Sie blieb fast eine Stunde in dem warmen
     Bad, während Dienstmägde sie abschrubbten, bis ihre Haut gerötet war und brannte. Johannas Rücken jedoch wuschen die Frauen
     mit äußerster Behutsamkeit, wobei sie beim Anblick der gezackten Narben mitleidig mit den Zungen schnalzten. Dann wuschen
     sie Johannas Haar und flochten die lange, weißgoldene Pracht zu zwei schimmernden Zöpfen, die nach vorn über Schultern und
     Brust hingen und Johannas Gesicht umrahmten. Schließlich brachten die Frauen ihr eine neue Tunika aus grünem Leinen. Der Stoff
     war so weich und das Gewebe so fein, daß Johanna kaum glauben konnte, daß es von Menschenhand gemacht war.
    Als sie angezogen war, brachten die Dienstmägde ihr einen goldgerahmten Spiegel. Johanna nahm ihn, schaute hinein und – erblickte
     das Gesicht einer Fremden. Sie hatte ihre eigenen Züge noch nie so deutlich betrachten können – nur in verschwommenen, verzerrten
     Bruchstücken, als Abbild im trüben Wasser des Dorfteichs. Johanna konnte es kaum fassen, mit welcher Schärfe und Deutlichkeit
     dieser Spiegel das  |109| Bild ihres Gesichts wiedergab. Sie hielt sich den Spiegel näher vor die Augen und begutachtete sich mit kritischem Blick.
    Hübsch war sie nicht; aber das wußte sie längst. Sie besaß weder die hohe blasse Stirn, noch das schön geformte Kinn, noch
     die zierliche, zerbrechliche Gestalt, die von fahrenden Musikanten besungen und von Liebhabern bevorzugt wurde. Sie hatte
     ein frisches, gesundes, jungenhaftes Aussehen. Ihre Stirn war zu niedrig, ihr Kinn zu fest und ihre Schultern zu gerade, als
     daß man sie als hübsch hätte bezeichnen können. Doch ihr Haar – das Haar ihrer Mutter – war wundervoll, und sie hatte schöne
     Augen: tiefliegend, von graugrüner Farbe, und umrahmt von dichten Wimpern. Johanna zuckte die Achseln und legte den Spiegel
     zur Seite. Der Bischof hatte sie nicht herbestellt, damit sie herausfand, ob sie hübsch war oder nicht.
    Johannes wurde ins Zimmer geführt, nicht minder prächtig als seine Schwester in eine Tunika und einen Umhang aus blauem Leinen
     gekleidet. Die beiden Kinder wurden zum Kammerherrn geführt.
    »So ist’s schon besser«, sagte der Mann und betrachtete die Geschwister anerkennend. »Viel besser. Nun denn – folgt mir.«
    Sie gingen einen langen Flur hinunter, dessen Wände mit riesigen Bildteppichen bedeckt waren, herrlich gearbeitet und mit
     Gold- und Silberfäden durchwirkt.
    Vor Nervosität schlug Johanna das Herz bis zum Hals. Jetzt würde sie dem Bischof gegenübertreten!
Ob ich es wohl schaffe, seine Fragen zu beantworten? Ob er mich an der Domschule aufnimmt?
    Von einem Moment auf den anderen fühlte Johanna sich unsicher und alldem nicht mehr gewachsen. Sie versuchte, sich auf irgend
     etwas anderes zu konzentrieren als auf die fremde Umgebung, doch ihr Verstand war vollkommen leer. Sie dachte an Aeskulapius
     und an das Vertrauen, das er in sie setzte, indem er diese Audienz ermöglicht hatte, und ihr Magen verkrampfte sich.
    Vor einer gewaltigen, doppelflügeligen Eichentür blieben sie stehen. Aus dem dahinterliegenden Raum erklangen lautes Stimmengewirr
     und das Klappern von Tellern. Der Kammerherr nickte dem Pagen zu, der an einer Seite der Tür stand, worauf der Mann die schweren
     Türflügel aufschwingen ließ.
    Johanna und ihr Bruder betraten den dahinter liegenden Saal – und blieben abrupt stehen, starrten mit offenem Mund |110| umher. Ungefähr zweihundert Personen hatten sich im Saal versammelt; sie saßen an langen Tischen, die üppig mit den köstlichsten
     Speisen gedeckt waren. Platten, mit verschiedenen Sorten gebratenen und gerösteten Wildfleischs belegt – Kapaune, Wildgänse,
     Moorhühner und Lendenstücke vom Hirsch und vom Wildschwein –, standen auf den Tischen bunt durcheinander, jedoch in bequemer
     Reichweite der Speisenden, die große Stücke von dem zarten Fleisch mit den Fingern abrissen, es sich in den Mund stopften,
     herunterschlangen und sich die Lippen dann an den Ärmeln abwischten. In der

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